Sheylah und die Zwillingsschluessel
Anziehen für sie gefunden, denn er legte ihr ein weißes schlichtes Kleid aufs Bett. Während sie sich wusch und anzog, hörte sie leise Trommeln in der Ferne schlagen. Ein Krieger wartete vor ihrer Hütte und gebot ihr zu folgen, als sie fertig war. Die Beerdigung fand auf einem großen Hügel, weit weg von ihren Hütten, statt – wobei Beerdigung nicht das richtige Wort war. Es war Tradition, dass die Anführer der Basa verbrannt wurden, so dass deren Geist und Macht in ihre Nachfahren ü
bergehen konnte. Als Sheylah den Hügel betrat, hatte sich das ganze Dorf bereits versammelt und Neela, Arlindinho und Narcisia standen ganz vorn. Sozuke lag auf einem Scheiterhaufen, die Hände zusammengefaltet. Die freien Stellen ihres Körpers wie Gesicht, Beine und Arme waren immer noch mit der gelben Paste bestrichen, die nach Erde und Wald roch. Für Andrey hätte sich Sheylah auch eine Beerdigung gewünscht, keine Verbrennung, denn davon hielt sie nicht viel, aber wenigstens eine Zeremonie, damit seine Freunde die Möglichkeit hatten, sich richtig von ihm zu verabschieden. Stattdessen hatte sich sein Körper einfach aufgelöst. Sheylah gesellte sich zu den Geschwistern und wartete darauf, dass die Zeremonie begann. Es dauerte eine knappe Stunde, bis sich jeder Basa von seiner Anführerin verabschiedet hatte. Dabei berührten sie Sozuke und wünschten ihr viel Glück auf ihrer Reise. Als sich alle von ihr verabschiedet hatten, kamen zwei Männer mit Fackeln herbei und zündeten den Scheiterhaufen an. Sheylah wollte das eigentlich nicht sehen, sie mochte keine Verbrennungen, aber wenn es Tradition war, musste sie es akzeptieren. Sie hoffte nur, Neela nicht eines Tages auf dieselbe Weise verabschieden zu müssen, das würde sie nicht ertragen. Sheylah wusste nicht, ob es an der Salbe lag oder ob Magie im Spiel war, aber schon nach wenigen Minuten war von Sozuke nichts mehr übrig - nicht einmal Asche. An der Stelle, an der sie eben noch gelegen hatte, schwebte nun dichter Rauch, der sich immer wieder zu neuen Formen zusammenzog. Sheylah bildete sich sogar ein, Sozukes Gesicht zu sehen, das ihr aufmunternd zuzwinkerte. Plötzlich teilte sich der Rauch in zwei Hälften und schoss direkt auf Neela und Narcisia zu. Sheylah schaute gebannt zu, auch wenn es sie in den Fingern juckte, die beiden aus dem Weg zu stoßen. Glücklicherweise hatte Djego sie aber vorgewarnt, dass etwas Ungewöhnliches geschehen würde und sie ermahnt, sich unter keinen Umständen einzumischen. Als die beiden ihren Mund öffneten und tief einatmeten, trieb der Rauch direkt in sie hinein, bis er vollständig verschwunden war. Sheylah hielt die Luft an, gespannt, was als Nächstes geschehen würde.
Neela keuchte und ging in die Knie und Narcisia wankte bedrohlich. Narcisia war die Erste, die sich wieder fasste. Sie berührte ihr Gesicht und lächelte verträumt. „Was ist passiert?“, wollte Sheylah wissen. „Das gesamte Wissen ihrer Ahnen ist nun in ihrem Geist“, erklärte Djego, als Narcisia nicht antwortete. Sie schien sie gar nicht zu hören. „Ich fühle mich so … bereichert“, flüsterte sie und grinste Sheylah wie eine Betrunkene an. Als sich Neela erhob und Sheylah mit blutroten Augen ansah, fuhr diese erschrocken zusammen. Es waren die gleichen feuerroten Augen, die auch Sozuke gehabt hatte. „Und was ist mit ihr los?“, wollte Sheylah wissen. „Während Narcisia Sozukes Wissen geerbt hat, hat Neela offenbar ihre Macht erhalten“, vermutete Djego. „Macht?“ „Macht über Feuer“, sagte Neela und ihre Augen wurden langsam wieder normal. Sheylah betrachtete ihre Freundin fasziniert. „Jetzt bist du wenigstens nicht die Einzige, die was drauf hat“, sagte Neela zwinkernd und ging zu ihrer Schwester. „Alles in Ordnung?“, fragte sie. “Ja, es sind nur so viele Informationen auf einmal“, antwortete Narcisia und schüttelte sich. „Daran werde ich mich erst gewöhnen müssen.“ Als die Zeremonie vorbei war, folgte gleich darauf die nächste. Narcisia wurde zur rechtmäßigen Anführerin der Basa ernannt und das wurde den ganzen Tag gefeiert. Köstliche Speisen und Unmengen an Wein wurden aufgetischt, aber Sheylah hatte keinen Hunger. Sie freute sich für die beiden Schwestern und genoss die Feierlichkeiten, aber der Schmerz zehrte weiter an ihr. Sheylah war gut darin, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und die meisten nahmen es ihr auch ab, wäre da nicht dieser verdammte Dämon gewesen, der ihre Gedanken lesen konnte.
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