Sheylah und die Zwillingsschluessel
wieder zum Hof zurückkehrte. Bis zum Hals eingewickelt, saß sie auf der Treppe und beobachtete das rege Treiben auf dem Hof. Seit sie in Lichtingen waren, hatte Sheylah nie viele grüne Ritter zu Gesicht bekommen. Sie waren entweder in der Scheune gewesen oder vor der Burg, auf Patrouille. Doch nun tummelten sich alle auf dem Hof herum, um das Spektakel mitzuerleben. Neueiergig stupsten sie sich an und warfen Sheylah verstohlene Blicke zu. Sie ignorierte sie, sah zum Himmel auf und beobachtete, wie er immer dunkler wurde. Was wohl Neela gerade tat? Sie hoffte, dass es ihr und Raqui gut ging und wünschte sich ein baldiges Treffen herbei. Als die Sonne untergegangen war, wurden auf dem gesamten Hof Fackeln angezündet. Als die Tür geöffnet wurde, erhob Sheylah sich und lief hinüber. Endlich war die Besprechung vorbei! Sie stieß mit Berger zusammen, der so schnell herausgelaufen kam, dass er sie prompt umrannte. Sie wäre rücklings die Treppe hinuntergefallen, wenn er nicht einen Arm ausgestreckt und sie festgehalten hätte. „Ich bitte um Vorsicht. Wir brauchen Euch lebend, wenn wir den Krieg gewinnen wollen“, sagte er grimmig. Mann, was hatte der bloß für ein Problem? Sie hatte ihn noch nie lachen sehen! „Danke, ich werde es mir zu Herzen nehmen“, versprach sie und wollte sich aus seinem Griff befreien, doch er hielt sie weiterhin fest. Sie blickte argwöhnisch zu ihm auf. „Du kannst mich jetzt loslassen“, sagte sie, doch er reagierte nicht. Er schaute sie nur weiterhin an. „Gibt es hier ein Problem?“, fragte Djego, der als Nächster herauskam. Er erschien hinter Berger und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Berger ließ sie los und Sheylah rieb sich das Handgelenk. „Nein, es ist alles bestens“, antwortete sie und schaute verstört zu Berger hoch. Djegos Hand ruhte immer noch auf seiner Schulter. Berger schloss die Augen und atmete tief durch, wie, um sich ruhig zu halten. Sheylah wollte nicht, dass es zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden kam, deshalb griff sie nach Djegos Hand und zog ihn in die Scheune hinein. Drinnen stand Andrey und beendete gerade ein Gespräch mit seinen besten Männern. Als er die beiden Hand in Hand auf ihn zukommen sah, lachte er. „Hast du dir etwa meine Geliebte geschnappt? Das hätte ich von dir am wenigsten erwartet“, sagte er. Djego lachte nicht. „Ich musste ihn davon abhalten, sich mit Berger zu prügeln“, erklärte Sheylah und ließ ihn los. „Was gibt es denn zwischen dir und Berger?“, fragte Andrey neugierig. „Er hat Sheylah angefasst.“ Andreys Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig. Sein Ausdruck wurde wachsam und wütend. Sheylah kannte diesen Gesichtsausdruck. Sie konnte Berger zwar nicht leiden, aber sie wollte auch nicht, dass er deswegen von Andrey verletzt wurde. „Er hat mich vor einem üblen Sturz bewahrt“, sagte sie beschwichtigend. „Er hat dich danach aber nicht mehr losgelassen, erst als ich ihn dazu aufforderte“, sagte Djego. Andreys Blick ging zwischen Sheylah und Djego umher. Sheylah warf die Hände in die Luft. „Und was sollen wir deiner Meinung nach tun? Ihn umbringen?“ „Nein“, entgegnete Djego. „Aber Andrey muss wissen, dass er Berger nicht in deine Nähe lassen sollte.“ „Danke Djego, niemandem sonst würde ich Sheylahs Sicherheit anvertrauen“, sagte Andrey anerkennend. „Was soll das? Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen“, sagte sie verärgert. „Sicher“, sagten beide wie aus einem Mund. „Es ist dunkel, wir sollten gehen“, bemerkte Djego und so machten sie sich auf den Weg zum Schloss.
Die Vorhersage fand im selben Raum statt, in dem sie Lisa das erste Mal begegnet waren. Die Sonne war verschwunden, dafür drang nun Mondlicht hinein und erhellte den Saal. Lisa wartete hinter dem Podium auf sie und sah einfach umwerfend aus. Sie trug ein dunkelblaues, locker sitzendes Kleid, das mit einer hauchdünnen Schleppe versehen war. Von ihren Schultern fiel ein weißer, fast durchsichtiger Mantel, der weit über den Boden reichte und ihr Haar war mit blauen Blumen bestickt, welche unaufhaltsam funkelten. Kein Mann konnte Sheylah erzählen, dass ihn dieser Anblick kalt ließ. Und doch war Andrey der einzige im Raum, der sie nicht gebannt betrachtete. „Es ist Zeit“, sagte Lisa und berührte die Kristallkugel. Neben ihr stand ein Mädchen, Feder und Pergament in der Hand, daneben noch eins mit einem Glas Wasser. Ein Mondstrahl fiel auf die Kugel und rührte etwas in ihr.
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