Sheylah und die Zwillingsschluessel
nicht verteidigte. „Ihr seid unmöglich!“, sagte sie und stampfte davon. Ein Grinsen musste sie sich dennoch verkneifen. Als sie ihr Zimmer betrat, machte Hanna gerade ihr Bett. Sheylah begrüßte sie und erkundigte sich nach Melissa. „Es gibt gleich Mittagessen und Melissa deckt die Tafel“, antwortete sie. Ihre Stimme klang traurig und belegt. „Was hast du?“, wollte Sheylah wissen. Hanna begann zu schluchzen und warf sich vor Sheylahs Füße. „Es ist nur, weil ihr uns morgen verlasst. Noch nie habe ich eine gütigere Herrin getroffen und zu sehen, wie ihr in den Kampf zieht, bricht mir das Herz.“ Sheylah kniete sich neben sie und legte ihr einen Arm auf die Schulter. „Es wird alles gut werden“, sagte sie. „Und wenn wir Morthon besiegt haben, komme ich euch besuchen“, versprach sie. Hanna schluchzte noch einen Augenblick, dann wischte sie sich die Tränen ab und ließ sich von Sheylah aufhelfen. „So und jetzt denk nicht mehr daran, wir werden nicht verlieren.“ Sheylah hörte selbst, wie lahm das klang, aber was sollte sie dem Mädchen sagen? Dass sie am liebsten selbst in der Ecke gehockt und geheult hätte. Dass sie genauso viel Angst hatte wie sie? Als Prinzessin hatte sie eine gewisse Verantwortung. Nicht, dass sie den Beruf allzu ernst nahm, aber sie begriff allmählich, dass die Menschen zu ihr aufsahen und sie verehrten. Sie musste ein Vorbild sein. Ein letztes Mal nahm Sheylah ein Kleid aus Lisas Truhe. Sie entschied sich für ein rotes, schwarz umrandet und mit schwarzen Rüschen. Ihr grünes Kleid würde heute ein letztes Mal gewaschen werden, damit sie es morgen anziehen konnte. Es sei denn, in Guanell gab es eine freundliche Wäscherei. Sheylah kämmte sich das Haar und ließ es offen über ihre Schultern fallen, dann verließ sie das Zimmer. Andrey wartete bereits vor der Tür zum Speisesaal. Seine Haare hatte er zu einem Pferdeschwanz gebunden, das weiße Hemd hing locker über der Hose. Wie er dort stand und auf sie wartete, sah er einfach umwerfend aus. Er musste dasselbe auch von ihr gedacht haben, denn ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er sie sah. „Ihr seht bezaubernd aus, Prinzessin“, sagte er und gab ihr einen Handkuss. Im Schmeicheln war er wirklich ein Meister, denn schon hatte sie ihm die Sache mit Djego verziehen. Er führte sie in den Speisesaal und alle nahmen ihre gewohnten Plätze ein. „Meine Freunde, es ist nicht mehr lange bis zum Mondaufgang. Lasst uns speisen“, sagte Lisa. Das Essen verlief ruhiger als sonst. Es gab weder schnippische Bemerkungen noch Sticheleien - im Gegenteil. Alle Seiten schienen froh, dass sie am nächsten Tag wieder abreisen würden. Sheylah hatte ohnehin das Gefühl, dass sie hier nicht länger willkommen waren. Beim Essen ließen sie sich Zeit. Nicht nur, weil es sehr köstlich war, sondern weil niemand wusste, ob sie jemals wieder eine solche Mahlzeit zu sich nehmen würden. Während sich die anderen unterhielten, hielt Sheylah sich im Hintergrund und schwelgte in ihren eigenen Gedanken. Sie folgte dem Tischgespräch nur dann, wenn es um ihre bevorstehende Reise ging, sagte ansonsten aber kein Wort. Lisa bestand darauf, dass Berger und zehn Männer sie begleiteten, was Andrey nicht gerade glücklich stimmte und sie bekamen zusätzlich noch einen ganzen Sack Lichtkugeln mit. Für dunkle Zeiten , wie Lisa so dramatisch sagte. Nach dem Essen machten sich die Männer daran, ihre Waffen zu überprüfen. Was nicht mehr kampftauglich war, wurde gegen Waffen aus Lichtingen ausgewechselt. Und als es allmählich dämmerte, waren alle bereit.
Die Proviant- und Kräuterkutsche waren aufgefüllt worden, die Waffen waren einsatzbereit und die Pferde für einen raschen Aufbruch gesattelt. Alle Ritter waren bei einer Besprechung, nur Sheylah nicht. Andrey erklärte ihr, dass wegen der Schlüssel eine gedankliche Verbindung zwischen ihr und Morthon bestehen könnte. Und so sollte verhindert werden, dass er in ihre Gedanken eindrang und wichtige Informationen über ihr Vorhaben erfuhr. Sie nahm es wortlos hin, setzte sich auf den unteren Treppenabsatz und wartete, bis die Besprechung vorüber war. Lisa hatte sich vor gut einer Stunde zurückgezogen, um sich auf die Vorhersage vorzubereiten, Hanna und Melissa waren bei ihr. Sheylah hatte also niemanden zum Unterhalten und so wartete sie. Zum Abend hin wurde es kühler und so konnte sich Sheylah ein paar Minuten beschäftigen, indem sie sich einen langen Mantel aus der Truhe nahm und
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