Sheylah und die Zwillingsschluessel
Gefühl, das allmählich auf sie überschwappte. Sheylah ritt zu den anderen an die Spitze und ihre Leibgarde ließ von ihr ab. Sie glaubten wohl, Sheylah hätte Vernunft angenommen, jetzt wo sie wieder in Andreys Nähe war. Vollidioten! „Wir müssen unser Tempo beibehalten, sonst gehen wir in den Wäldern verloren“, sagte Andrey. Sie wusste nicht, ob er zu ihr oder an alle gerichtet sprach, also antwortete sie erst gar nicht. „Kannst du mir glauben, wenn ich sage, dass es mir unendlich leid tut? Dass ich das nur tue, weil ich dich um keinen Preis verlieren will?“, fragte er und Reue schwang in seiner Stimme mit. Er hatte Djego die Führung überlassen, um sich zu ihr zu gesellen. Er ritt genau neben ihr und schaute sie erwartungsvoll an. Sheylah erwiderte seinen Blick und für einen Moment waren alle schlechten Gefühle wie fortgewischt. Aber nur einen Augenblick, denn als sie den Blick kurz abwandte, kehrten Wut und Verzweiflung zurück. „Ich verstehe deine Gründe, aber verzeihen werde ich dir nicht.“ Wenn der Krieg vorbei war, mussten sie ein ernstes Wörtchen miteinander sprechen. Denn auch wenn er es nur gut meinte, konnte sie nicht zulassen, dass er sie ständig bevormundete. Sie dachte, seit dem Vorfall in Lichtingen hätten sie das geklärt, doch er konnte es offenbar nicht lassen. Sie ließ sich wieder zurückfallen und Andrey allein weiterreiten. Irgendwann wurde es so dunkel, dass Sheylah sich fragte, wie sie sich im Wald orientieren sollten. Aber ihre Sorge war umsonst, denn als es dunkler wurde, tauchten rings um sie herum Lichter auf. Sie schwebten in der Luft, lagen am Boden, oder klebten an Blättern und Baumstämmen.
Es war ein märchenhafter Anblick. Sheylah tippte auf Glühwürmchen, aber genau konnte sie es nicht sagen. Denn jedes Mal, wenn sie sich einem Licht näherte, erlosch es und tauchte an einer anderen Stelle wieder auf. Sie konnte also nur vermuten. Vor ihnen waren die Baumgruppen inzwischen so dicht, dass sie sich nach rechts wenden mussten, um die Richtung wenigstens ansatzweise beizubehalten. „Scheint doch nicht so gefährlich zu sein“, meinte Sheylah zu Djego. Sie sprach das erste Mal seit Stunden ein Wort. Djego ritt neben ihr, Andrey und Berger führten den Trupp an. „Ich würde nicht so vorschnell urteilen. Als ich das letzte Mal in der Nähe der Sümpfe war, kamen grauenvolle Geräusche daraus.“ „Aus den Sümpfen. Hier sind wir aber in den Wäldern.“ „Ja, aber Nubis bleibt Nubis. Ob Wald oder Sumpf, die Geschöpfe sind dieselben.“ „Dann wollen wir hoffen, dass wir keinem Monster begegnen“, sagte sie und schaute zu Andrey und Berger. In dem Moment drehte sich Andrey zu ihr herum. Feige, wie Sheylah war, senkte sie den Blick und betrachtete ihre Hand, die vollkommen genesen war. Je tiefer sie in den Wald ritten, desto unwohler fühlte sich Sheylah. Sie hatte das Gefühl, nicht mehr allein zu sein und dass sie irgendjemand da draußen beobachtete. Und plötzlich hörte sie etwas. Der Ruf war so leise, dass sie ihn zuerst für Einbildung hielt, doch dann wurde er deutlicher. Jemand rief nach ihr, aber die Stimme war verzerrt und irgendwie unwirklich. „Sheylah“, hörte sie und diesmal war die Stimme so nah, dass sie zusammenzuckte und beinahe vom Pferd rutschte. Was war das? Ihr Kopf schnellte nach rechts, als der Ruf erneut erklang - diesmal in weiter Ferne. Er war verzerrt, aber irgendwie auch vertraut. Unauffällig lenkte sie ihr Pferd an den Rand des Trupps. Sie spähte in den Wald und wurde von etwas abgelenkt, das an einem Baum herunterhing. Sie hielt an und betrachtete es genauer - es war ein Apfel. „Ähm, Leute?“, rief sie und schaute zu der Frucht. Der giftgrüne Apfel baumelte knapp über ihrer Nase. Hm, und er roch gut! Der ganze Trupp versammelte sich um Sheylah und der mysteriösen Frucht. Andrey fragte: „Hat jemand eine Erklärung dafür?“ Niemand antwortete. „An solch einem trostlosen Ort sollten keine Früchte gedeihen, hier gibt es nicht einmal Sonne“, sagte Berger. Da war Sheylah absolut seiner Meinung. „Mein Gott“, sagte Djego plötzlich und deutete in den Wald.
Die anderen folgten seinem Blick und konnten ihren Augen nicht trauen. Der ganze Wald war plötzlich mit saftigen Früchten gefüllt. Sie hingen an den Bäumen und lagen am Boden und verteilten einen süßen Geruch in der Luft. Sheylah lief das Wasser im Mund zusammen und sie war nicht die Einzige, der es so erging. Andrey gewann die Fassung als Erster
Weitere Kostenlose Bücher