Sheylah und die Zwillingsschluessel
zurück. „Niemand fasst die Früchte an, wir müssen hier weg, sofort“, rief er. Niemand widersprach. Als sie ihren Weg fortsetzten, schenkte Sheylah dem rechten Teil des Waldes wieder ihre Aufmerksamkeit, doch der Ruf erklang kein drittes Mal. Als sie in einen unnatürlich wirkenden Nebel hineinritten, wies Andrey sie an, dicht zusammenzurücken. Sheylah konnte gerade noch das Hinterteil seines Pferdes sehen, mehr nicht. „Sheylah“, drang eine Stimme an ihr Ohr. Wieder der Ruf, wieder von rechts, nur diesmal erkannte sie die Stimme. Es war Neelas! Ohne weiter nachzudenken, dirigierte sie ihr Pferd aus der Truppe heraus und folgte dem Ruf. Ihr Verschwinden wurde schnell bemerkt, sie konnte die aufgeregten Rufe der Männer hören. Um nicht so schnell eingeholt zu werden, spornte sie ihren Hengst an. Dieser wieherte protestierend, ritt aber weiter in den Nebel hinein. „Sie ist da vorn“, hörte sie Andrey rufen. Sie drehte sich nicht zu den Männern um, sondern konzentrierte sich auf den dichten Nebel. Als sie vor sich eine Silhouette erkannte, wurde sie langsamer. Die Gestalt schien im Nebel zu verschwinden, nur um sich an einer anderen Stelle wieder zusammenzusetzen. Sheylah stand dem Ding gegenüber und betrachtete es neugierig. Es hatte kein Gesicht, nicht einmal Haare oder Ohren. Man konnte nur leichte Konturen des Körpers erkennen. Es hatte zwei unterschiedlich lange Beine. Eins lang und dünn, das andere kurz und dick. Die Arme schienen ebenfalls zu lang für seinen Körper zu sein. „Sheylah“, rief es erneut und mit Neelas Stimme. „Neela?“, fragte sie zögernd. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was Neela mit diesem Geschöpf gemein haben sollte. Es winkte sie zu sich heran, aber da ihr Pferd nicht mitspielte, musste Sheylah absteigen. Als sie auf festem Boden stand, deutete es auf einen Busch, genau hinter ihr. Sheylah drehte sich um und sah bunte Früchte an den Zweigen hängen. Fragend schaute sie das Geschöpf an und hörte gleichzeitig die Rufe der Männer, die sich ganz in ihrer Nähe bewegten.
„Du meinst, ich soll davon kosten?“ Es antwortete nicht, sie glaubte aber, ein Nicken zu erkennen. „Aber man darf davon nicht essen, es wäre ein … Fehler“, sagte sie. Ihre Augen weiteten sich, als sie begriff. Hatte Lisa das gemeint? Dass sie von der Frucht essen sollte? Jemand muss einen Fehler begehen, dann werden euch neue Freunde zur Seite stehen , wiederholte sie in Gedanken. Sie riss eine Frucht ab und drehte sich zu dem Geschöpf um, doch es war verschwunden. „Sheylah, nicht“, erklang Andreys Stimme. Erschrocken schaute sie auf. Andrey hatte sie fast erreicht, die Männer dicht hinter ihm. Sie hatte nur noch Sekunden, um zu handeln, dann hätte er ihr die Frucht entrissen. Es geschah in einem Sekundenbruchteil, doch Sheylah nahm es wie in Zeitlupe wahr. Andreys Hand war nur noch weniger Meter von ihr entfernt und sie biss zu. Sie hatte nicht einmal Zeit, sich über den abartigen Geschmack zu ekeln, denn der Wald begann sich zu verwandeln. Aus den saftig grünen Bäumen wurden verdorrte Baumstämme, die bunten Blumen verwelkten und der Boden unter ihren Füßen verflüssigte sich. Sheylah konnte noch rechtzeitig zur Seite springen und auf einer großen Baumwurzel Zuflucht suchen, sonst wäre sie versunken. Andrey musste sein Pferd bremsen, um nicht im Sumpf zu landen und von allen Seiten hallten Schreie wieder. Der Wald hatte sich in eine Sumpflandschaft verwandelt, die jeden verschlang, der sich nicht rechtzeitig in Sicherheit brachte. Hier und da sah sie Männer mitsamt ihren Pferden versinken, der Anblick war schrecklich.
Andrey hatte festen Boden gefunden und Berger und Djego waren damit beschäftigt, so viele Männer wie möglich vor dem Ertrinken zu bewahren. Es gab nur eine Handvoll Stellen, auf denen man gefahrlos stehen konnte und die waren fast alle belegt. Sheylah klammerte sich an einen Baumstamm und sah ängstlich zu Andrey hinüber, der nicht weit von ihr entfernt stand. Sie war durch einen großen Sumpf von ihm getrennt. „Warum hast du das getan?“, fragte er entsetzt. „Ich musste das tun, Neela hat es mir gesagt.“ „Sheylah, hier ist keine Neela“, sagte er und sah sie an, als hielte er sie für geistig verwirrt. So kam sie sich auch vor, denn er hatte recht. Neela war nicht hier. Ihr kam der leise Verdacht, dass es eine Falle gewesen sein könnte und sie nur zu dumm war, diese zu erkennen. „Ich erkläre es dir später, nur
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