Sheylah und die Zwillingsschluessel
müssen, sofort“, sagte sie aufgebracht. Als niemand antwortete, schaute sie hilfesuchend zu Djego. Er war mit Neela zusammen, er musste sie doch auch vermissen. Aber Djego schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, aber wir haben keine Beweise für deine Theorie.“ „Theorie?“, wiederholte Sheylah empört. „Glaubt ihr, ich habe mir Neelas Namen selbst eingebrannt?“ Den Gesichtern nach zu urteilen, schlossen sie diese Möglichkeit nicht aus. „Ich glaub’s nicht“, sagte Sheylah fassungslos. Sie schaute zu Andrey auf. „Bitte tu mir das nicht an.“ Doch sein Blick wurde kalt und streng. „Egal, ob du mich dafür hasst oder verwünschst. Wir haben einen Krieg zu gewinnen und werden nach Guanell gehen. Dabei werden wir weder Neela suchen noch das Basaland betreten. Und ab sofort werde ich keine weiteren Dummheiten billigen, ist das klar?“ „Klar“, sagte Sheylah trocken. Andrey warf ihr einen zweifelnden Blick zu. Vielleicht hätte sie ein wenig zögern sollen und nicht gleich zustimmen, denn so glaubte er ihr kein Wort. „Du willigst also ein, ohne Umwege nach Guanell zu gehen und nicht nach Neela zu suchen?“ Sheylah schaute ihm direkt in die Augen, ihr Blick war genauso kalt wie seiner. „Ich verspreche es“, antwortete sie und kreuzte in Gedanken die Finger. Es folgte noch eine kurze Diskussion, da man sich nicht einig war, ob die Pferde mitgenommen werden sollten. Berger war dagegen, Andrey dafür. Also gingen die Pferde mit.
Die Nubis-Wälder waren atemberaubend schön. Wo man nur hinsah, wuchsen bunte Blumen und außergewöhnlich farbenfrohe Pflanzen. Der Anblick reichte fast, um Sheylahs dunkles Gemüt aufzuhellen – aber nur fast, denn neben ihren heimlichen Racheplänen, die sie an Andrey und die anderen schmiedete, sorgte Djego mit seinen Kommentaren nicht gerade für bessere Stimmung. „Lasst euch von dem schönen Anblick nicht täuschen“, sagte er immer wieder. Doch man brauchte seinen Rat nicht, um zu merken, dass etwas nicht stimmte. Denn sie begegneten weit und breit keinem Lebewesen. Kein Vogel zwitscherte vergnügt, kein Reh lugte hinter einem Baum hervor und kein Insekt schwirrte in der Luft herum. Es war totenstill, als versteckten sich die Nubis-Sümpfe hinter einer wunderschönen Fassade. Sheylah hatte seit Stunden kein Wort gesprochen. Sie hörte den anderen zu oder bildete sich ihre eigene Meinung über den Wald. Andrey hielt sich auffallend weit weg von ihr, wohl um den Eindruck von Vertrauen zu vermitteln.
Die zehn grauen Männer, die immer in ihrer Nähe ritten, waren dabei natürlich überhaupt nicht auffällig! Er hatte seine besten Männer auf sie angesetzt, doch ihr sollte es recht sein. Sollte er sich ruhig in Sicherheit wiegen, so konnte sie ganz in Ruhe Fluchtpläne schmieden. Sie hatte ihr Vorhaben nicht aufgegeben. Heute oder morgen – sie würde Neela finden. Mit den Pferden kamen sie nur schwer voran, was daran lag, dass sie ständig den Bäumen ausweichen mussten. Sheylah ritt ziemlich weit hinten, ihre Leibgarde immer im Schlepptau. So konnte sie etwas Eigenartiges beobachten. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie ihren Blick stur geradeaus gerichtet hatte und sich nicht ständig zu allen Seiten umdrehte, wie es alle anderen taten. Jedenfalls sah es für sie so aus, als bewegten sich die Bäume. Wenn sie eine Zeitlang geradeaus schaute, standen die Bäume in normalen Abständen, Meter für Meter. Wenn sie der Stelle jedoch näher kamen, waren dort plötzlich dutzende Bäume mehr, als es von weitem der Fall gewesen war. Sie mussten jedes Mal nach links oder rechts ausweichen und es war – zumindest für Sheylah – offensichtlich, dass der Wald sie lenkte. Und eines war klar: egal, wohin er sie führte, es war sicher nicht der Ausgang! Irgendwann verlor sie jegliches Zeitgefühl. Je tiefer sie in den Wald ritten, desto dunkler wurde es. An der Sonne konnte es nicht liegen, eher an den immer dichter werdenden Bäumen. Die Sicht wurde auch immer schlechter und düsterer, sogar für Sheylahs Augen. Sie sah Djego auf sich zureiten und setzte eine sture Miene auf. Kindisch, aber sie konnte es sich nicht verkneifen. „Andrey sagt, wir sollen jetzt zusammenrücken.“
Sheylah antwortete nicht, sondern nickte nur, also ritt Djego wieder zurück zur Spitze. Sheylah tat wie geheißen und rückte näher an den Trupp heran. Je näher sie ihm kam, desto stärker konnte sie die Angst und Nervosität der Männer fühlen. Es war ein unangenehmes, bedrückendes
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