Shibumi: Thriller (German Edition)
Essen holen. »Ich glaube kaum, dass wir uns hier einen Freund gewonnen haben, Niko. Und er ist ein Mann, vor dem man sich hüten muss.« Le Cagot lachte. »Schließlich war sein Vater Franzose und sehr aktiv in der Résistance.«
Hel lächelte. »Hast du je einen Franzosen kennengelernt, der nicht dabei war?«
»Richtig. Es ist erstaunlich, dass Deutschland es geschafft hat, Frankreich mit so wenigen Divisionen zu halten, wenn man bedenkt, dass alle, die nicht die Ressourcen der Deutschen reduzierten, indem sie sich schlau und en masse ergaben und die Nazis so zwangen, sie zu ernähren, tapfer und kühn in der Résistance gekämpft haben. Gibt es auch nur ein Dorf ohne seine Place de la Résistance? Aber wir sollten doch wohl lieber fair sein; man muss nämlich wissen, was die Franzosen unter Résistance verstehen. Jeder Hotelier, der einem Deutschen zu viel berechnete, war in der Résistance. Jede Hure, die einem deutschen Soldaten den Tripper anhängte, war eine Freiheitskämpferin. Und alle, die zwar gehorchten, dabei aber böswillig mit einem fröhlichen Bonjour hinterm Berg hielten, waren Helden der Befreiungsfront.«
Hel lachte. »Bist du nicht ein bisschen zu hart gegen die Franzosen?«
»Es ist die Geschichte, die hart gegen sie ist. Ich meine die wirkliche Geschichte, nicht die vérité à la Cinquième République, wie sie in den französischen Schulen gelehrt wird. Ehrlich gesagt, bewundere ich die Franzosen mehr als alle anderen Ausländer. Denn in den Jahrhunderten, die sie als Nachbarn der Basken lebten, haben sie wertvolle Tugenden von ihnen gelernt – Verständnis, philosophische Einsicht, einen gewissen Sinn für Humor –, und das macht sie zu den besten unter den Fremden. Aber ich muss dennoch zugeben, dass sie ein lächerliches Volk sind, genau wie man eingestehen muss, dass die Briten Stümper, die Italiener unfähig, die Amerikaner neurotisch, die Deutschen romantische Wilde, die Araber bösartig, die Russen Barbaren sind und die Holländer Käse machen. Nimm zum Beispiel jene besondere Manifestation französischer Lächerlichkeit, die sie zu dem Versuch treibt, ihre kurzsichtige Hingabe an das Geld mit dem Streben nach dem Phantomder gloire zu verbinden. Dieselben Leute, die ihren Burgunder wegen eines geringen Profits verwässern, geben bereitwillig Millionen von Francs für die atomare Verseuchung des Pazifiks aus, in der Hoffnung, man werde sie für technologisch gleichrangig mit den Amerikanern halten. Sie sehen sich als den flinken David, der gegen den habgierigen Goliath kämpft. In den Augen der restlichen Welt gleichen ihre Unternehmungen der albernen Selbstgefälligkeit des verliebten Ameisenmännchens, das am Bein einer Kuh emporklettert und ihr versichert, es werde behutsam sein.«
Le Cagot blickte nachdenklich auf die Tischplatte. »Im Augenblick weiß ich nichts weiter über die Franzosen zu sagen.«
Die Witwe hatte sich zu ihnen an den Tisch gesetzt, rückte dicht an Le Cagot heran und presste ihr Knie gegen das seine. »He, Sie haben Besuch unten auf Etchehelia«, berichtete sie Hel, die baskische Bezeichnung für sein Château benutzend. »Ein junges Mädchen. Eine Ausländerin. Gestern Abend angekommen.«
Hel war keineswegs erstaunt darüber, dass sich die Nachricht bereits bis nach Larrau, drei Berge und fünfzehn Kilometer von seinem Wohnsitz entfernt, herumgesprochen hatte. Die Neuigkeit war zweifellos höchstens vier Stunden nach dem Eintreffen der Besucherin in allen umliegenden Dörfern bekannt gewesen.
»Was wissen Sie über das Mädchen?«, erkundigte er sich.
Die Witwe zuckte die Achseln und zog die Mundwinkel herunter, um anzudeuten, sie sei nur über ein paar unwichtige Tatsachen informiert. »Sie hat chez Jaureguiberry Kaffee getrunken und konnte ihn dann nicht bezahlen. Sie ist den ganzen Weg von Tardets nach Etchebar zu Fuß gegangen und von den Bergen aus mehrmals gesehen worden. Sie ist jung, aber nicht zu jung zum Gebären. Sie trug kurze Hosen, die ihre Beine sehen ließen, und es heißt, dass sie einen vollen Busen hat. Sie wurde von Ihrer Freundin in Empfang genommen, die auch ihre Rechnung bei Jaureguiberry beglichen hat. Sie spricht mit englischem Akzent. Und die alten Klatschbasen im Dorf behaupten, sie sei eine Hure aus Bayonne, die vom Hof gejagt worden ist, weil sie mit dem Mann ihrer Schwester geschlafen hat. Sie sehen also, man weiß nur wenig über sie.«
»Sie ist jung und hat einen vollen Busen, sagst du?«, fragte Le Cagot neugierig.
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