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Shibumi: Thriller (German Edition)

Shibumi: Thriller (German Edition)

Titel: Shibumi: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
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aber lautet die große Frage: Wie erreicht er dieses Gleichgewicht? Er könnte es tun, indem er seinen Besitz auf das Niveau seiner Bedürfnisse anhebt, aber das wäre dumm. Es würde nämlich bedeuten, dass er unnatürliche Dinge tun müsste – handeln, schachern, knausern, arbeiten. Ergo? Ergo erreicht der weise Mann dieses Gleichgewicht dadurch, dass er seine Bedürfnisse auf das Niveau seines Besitzes senkt. Und das tut man am besten, indem man die kostenlosen Dinge des Lebens schätzen lernt: Berge, Lachen, Poesie, Wein, von einem Freund dargeboten, ältere und dickere Frauen. Ja, und ich? Ich bin durchaus in der Lage, mich mit dem zufriedenzugeben, was ich besitze. Es geht nur darum, dass man von Anfang an genug davon abkriegt!«
    »Le Cagot«, bat einer der alten Schmuggler, der es sich in einer Ecke der artzain xola bequem gemacht hatte. »Erzählst du uns eine Geschichte zum Einschlafen?«
    »Ja«, stimmte sein Gefährte bei. »Erzähl uns etwas von alten Dingen.« Als echter Volkspoet, der lieber eine Geschichte erzählte als schrieb, begann Le Cagot mit seiner vollen Bassstimme Fabeln zu spinnen, während die anderen lauschten oder schlummerten. Jeder von ihnen kannte diese Geschichten, doch das Vergnügen daran lag in der Kunst des Erzählens. Und das Baskische ist eine Sprache, die sich weit besser zum Geschichtenerzählen eignet als zum Austausch von Informationen. Niemand kann lernen, das Baskische schön zu sprechen; das ist, wie Augenfarbe und Blutgruppe, eine Eigenschaft, die angeboren sein muss. Es ist eine sehr subtile Sprache mit ihrer umschreibenden Wortordnung, ihren vagen Deklinationen, ihren doppelten Konjugationen, sowohl synthetisch als auch periphrastisch, mit ihren alten »Erzähl«-Formen, die sich mit formalen Verbschemata mischen und nur von sehr wenigen Regeln bestimmt sind. Baskisch, das ist ein Lied, dessen Text die Ausländer wohl lernen können, dessen Melodie sie aber niemals beherrschen werden.
    Le Cagot erzählte von der Basa-andere, der wilden Frau, die die Männer auf besonders angenehme Art und Weise tötet. Es ist weithin bekannt, dass die Basa-andere schön und für die Liebe geschaffen ist und dass das weiche, goldene Haar, das ihren ganzen Körper bedeckt, seltsam anziehend wirkt. Hat ein Mann das Pech, ihr im Wald unversehens zu begegnen (man trifft sie immer an einem Bach kniend, wo sie das Haar auf ihrem Bauch mit einem goldenen Kamm strählt), dann wendet sie sich zu ihm um, bannt ihn mit einem bezaubernden Lächeln, legt sich zurück, hebt die Knie und bietet ihm ihren Körper dar. Ein jeder weiß, dass die Lust, die sie einem Mann schenkt, so überwältigend ist, dass er daran sterben muss, und dennoch sind zahllose Männer, den Rücken in der Agonie unvorstellbarer Lust gebogen, bereitwillig in den Tod gegangen.
    Einer der alten Schmuggler behauptete, er habe einmal einen Mann in den Bergen gefunden, der genau auf diese Art gestorben sein müsse, denn in seinen glasigen, starren Augen habe eine schreckenerregende Mischung aus Angst und Lust gestanden.
    Und der schüchternste der jungen Basken betete zu Gott, er möge ihm die Kraft zum Widerstand verleihen, sollte er jemals auf die Basa-andere mit ihrem goldenen Kamm treffen. »Du sagst, Le Cagot, dass sie am ganzen Körper mit goldenem Haar bedeckt ist? Ich kann mir behaarte Brüste einfach nicht vorstellen. Sind denn die Brustwarzen überhaupt zu sehen?« Le Cagot schniefte und streckte sich auf dem Boden aus. »Um ehrlich zu sein, das kann ich dir nicht aus eigener Erfahrung sagen, mein Junge. Diese Augen haben die Basa-andere nie gesehen. Und ich bin froh darüber, denn wären wir uns einmal begegnet, wäre es die arme junge Dame gewesen, die vor lauter Lust hätte sterben müssen.«
    Der Alte lachte, riss ein Paar Grashalme aus und warf sie nach dem Poeten. »Wahrlich, Le Cagot, du steckst so voller Scheiß, wie Gott voller Gnade ist.«
    »Richtig«, gab Le Cagot ruhig zu. »Stimmt. Habt ihr schon mal die Geschichte gehört von der …«
    Als der Morgen kam, war der Nebel verschwunden, von den nächtlichen Winden davongefegt. Bevor sie aufbrachen, bezahlte Hel die jungen Männer für ihre Hilfe und bat sie, die Winde und den Dreifuß auseinanderzubauen und in einer Scheune in Larrau zu lagern, da sie bereits die nächste Expedition in ihre Höhle planten – und zwar diesmal mit Taucherausrüstung, denn die beiden, die unten bei der Mündung in die Holçarté-Schlucht postiert gewesen waren, hatten das

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