Shibumi: Thriller (German Edition)
der Côte Basque bescheiden müsstest. Schauspielerinnen, Fotomodelle und so weiter. Meinst du, dass du das fertigbrächtest?«
»Genauso leicht, wie du dich mit kräftigen jungen Männern mit prachtvollem Muskeltonus und ehrlichen, aber leeren Augen zufriedengeben könntest. Für uns beide wäre das, als lebten wir ausschließlich von Hors d’œuvres. Aber warum nicht? Hors d’œuvres können sehr schmackhaft sein, wenn sie auch übersättigen, ohne wirklichen Nährwert zu haben.«
»Ich muss es mir überlegen, Nikko. Der Gedanke ist sehr attraktiv.« Sie stützte sich auf einen Ellenbogen und blickte in seine halbgeschlossenen belustigten Augen hinab. »Aber die Freiheit ist auch attraktiv. Vielleicht fasse ich überhaupt keinen Entschluss.«
»Das wäre bereits eine Art Entschluss.«
Sie zogen sich an und gingen unter dem durchlöcherten Kupferkasten duschen, den der erste aufgeklärte Besitzer des Schlosses vor nahezu dreihundert Jahren konstruiert hatte.
Erst als sie im creme- und goldfarben ausgeschlagenen Salon beim Tee saßen, erkundigte Hel sich nach der Besucherin.
»Sie schläft noch. Als sie gestern Abend ankam, war sie verzweifelt. Sie ist von Rom nach Pau geflogen, bis Tardets per Anhalter gefahren und dann hierher zu Fuß marschiert. Obwohl sie sich Mühe gab, höflich Konversation zu machen und die Regeln des Anstands zu wahren, merkte ich sofort, dass sie bis ins Innerste erschüttert war. Sie fing beim Teetrinken an zu weinen. Weinte, ohne es selbst zu merken. Ich gab ihr etwas zur Beruhigung und brachte sie dann zu Bett. Doch in der Nacht hatte sie Albträume und wachte mehrmals auf. Also blieb ich auf ihrer Bettkante sitzen, streichelte ihr das Haar und sang ihr etwas vor, bis sie wieder ruhig geworden war und einschlief.«
»Was für Probleme hat sie denn?«
»Sie erzählte während der Nacht davon. Es hat da eine scheußliche Geschichte auf dem Flughafen von Rom gegeben. Zwei ihrer Freunde wurden erschossen.«
»Von wem?«
»Das hat sie nicht gesagt. Vielleicht weiß sie es selbst nicht.«
»Warum wurden die beiden erschossen?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Hat sie dir erzählt, warum sie zu uns gekommen ist?«
»Anscheinend waren sie alle drei hierher unterwegs. Sie hatte kein Geld bei sich, nur ihr Flugticket.«
»Hat sie dir ihren Namen genannt?«
»Ja. Hannah Stern. Ihr Onkel sei ein Freund von dir, sagte sie noch.«
Hel stellte die Tasse hin, schloss die Augen und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Asa Stern war mein Freund. Er ist tot. Ich stand in seiner Schuld. Einmal wäre ich ohne seine Hilfe umgekommen.«
»Und diese Schuld – erstreckt sie sich auch auf das junge Mädchen?«
»Wir werden sehen. Was sagtest du noch – die Schießerei im Flughafen Rom war gestern Nachmittag?«
»Oder am Vormittag; ich bin mir nicht sicher.«
»Dann müsste es um zwölf in den Nachrichten kommen. Wenn sie aufwacht, schick sie bitte zu mir. Ich bin im Garten. Ach ja, ich glaube, Le Cagot wird heute zum Abendessen kommen – falls er seine Verpflichtungen in Larrau bis dahin erfüllt hat.«
Hel arbeitete anderthalb Stunden im Garten, stutzte hier, kontrollierte da, immer eine zurückhaltende, subtile Wirkung im Auge. Er war kein Künstler, aber er war sensibel; und so fehlte seinem Garten, dem wichtigsten Ausdruck seiner Sehnsucht nach Kreativität, zwar sabi, aber er wies die shibui -Züge auf, die die japanische Kunst von der mechanischen Dynamik der westlichen und der aufdringlichen Übertreibung der chinesischen unterscheiden. Sein Garten verströmte die süße Melancholie, die verzeihende Traurigkeit, die in der Vorstellungswelt der Japaner die Schönheit charakterisieren. Es herrschte eine beabsichtigte Unvollkommenheit und eine organische Schlichtheit, die zunächst ästhetische Spannungen erzeugte, um sie dann zu befriedigen, und die etwa so funktionierte wie Gleichgewicht und Ungleichgewicht in der westlichen Kunst.
Kurz vor zwölf brachte ihm ein Diener ein Transistorradio, und Hel hörte sich im Waffenraum die Mittagsnachrichten des BBC World Service an. Sie wurden von einer Frau gesprochen, deren unverwechselbare Stimme schon seit Jahren eine Quelle der Belustigung für die internationale anglophone Gemeinde bildete. Zu der ohnehin merkwürdigen, BBC -typischen Aussprache fügte sie nämlich noch einen abgehackten, halberstickten Ton, den ihre weltweite Zuhörerschaft seit langem für die Folge eines schlecht sitzenden Zäpfchens hielt, wenngleich es lebhafte
Weitere Kostenlose Bücher