Shibumi: Thriller (German Edition)
dass ihr Tränenfluss durch Hels kühles Festhalten an Fakten und Informationen gehemmt wurde. Schniefend sagte sie: »Onkel Asa hatte Informanten in England. So erfuhr er, dass die beiden letzten Überlebenden der Münchner Attentäter zusammen mit einer Gruppe des Schwarzen September ein von Heathrow startendes Flugzeug entführen wollten.«
»Wie groß war die Gruppe?«
»Fünf bis sechs. Wir wussten es nicht genau.«
»Wussten Sie, welche von ihnen in München dabei waren?«
»Nein.«
»Sie wollten also einfach alle fünf umlegen?«
Sie nickte.
»Ich verstehe. Und Ihre Kontakte in England? Welcher Art sind die, und was werden sie für Sie tun?«
»Es sind Stadtguerilleros, die für die Befreiung Nordirlands von der englischen Gewaltherrschaft kämpfen.«
»O Gott!«
»Wissen Sie, irgendwie sind alle Freiheitskämpfer Brüder. Unsere Taktiken mögen verschieden sein, aber unsere Ziele sind letztlich die gleichen. Wir alle ersehnen den Tag, an dem …«
»Bitte!«, unterbrach er sie. »Also, was wollten diese IRA -Brüder für Sie tun?«
»Na ja … die Septembristen im Auge behalten. Uns Wohnungen beschaffen, sobald wir in London eintrafen. Und sie wollten uns mit Waffen versorgen.«
»›Uns‹, das heißt wohl Sie und die beiden, die in Rom umgekommen sind, wie?«
»Ja.«
»Ich verstehe. Nun gut, erzählen Sie mir jetzt bitte, was sich in Rom zugetragen hat. Laut BBC sind die Stuntmen Angehörige der Japanischen Roten Armee, die für die PLO arbeiteten. Ist das richtig?«
»Ich weiß es nicht.«
»Waren Sie denn nicht dort?«
»Ja! Natürlich war ich dort!« Sie riss sich zusammen. »Aber in dem Durcheinander … sterbende Menschen … Schüsse überall …« In ihrer Not erhob sie sich und kehrte diesem Mann, der sie, das spürte sie instinktiv, absichtlich quälte und testete, den Rücken zu. Sie nahm sich vor, nicht zu weinen, aber die Tränen kamen trotzdem. »Tut mir leid. Ich war völlig außer mir. Benommen. Ich erinnere mich nicht an alles.« Vor Nervosität und weil sie mit ihren Händen nichts anzufangen wusste, griff sie nach einer unscheinbaren Metallröhre auf dem Regal an der Wand über ihr.
»Nicht anfassen!«
Sie zuckte erschrocken zurück, weil er zum ersten Mal die Stimme erhoben hatte. Ein Anflug selbstgerechter Wut durchzuckte sie. »Ich wollte Ihre Spielsachen nicht kaputtmachen!«
»Aber die hätten Sie kaputtmachen können.« Seine Stimme klang wieder leise und melodisch. »Das ist eine Nervengasröhre. Wenn Sie am Schaft gedreht hätten, wären Sie jetzt tot. Und noch schlimmer: Ich auch.«
Sie schnitt eine Grimasse, zog sich vom Waffenregal zurück und trat an die offene Schiebetür, die in den Garten hinausführte. Sie lehnte sich an den Rahmen, um ihre Selbstbeherrschung zurückzugewinnen.
»Junge Dame, ich werde Ihnen helfen, sofern das möglich ist. Ich muss freilich gestehen, dass es vielleicht nicht möglich sein wird. Ihre kleine Amateurorganisation hat so ungefähr jeden erdenklichen Fehler gemacht, und sich mit den Schwachköpfen von der IRA zu verbinden war nicht der geringste davon. Dennoch schulde ich es Ihrem Onkel, Sie bis zu Ende anzuhören. Vielleicht kann ich Sie beschützen und dafür sorgen, dass Sie in den bourgeoisen Komfort Ihres Elternhauses zurückkehren, wo Sie Ihre sozialen Ambitionen ausleben können, indem Sie gegen die Verschmutzung der Nationalparks protestieren. Aber wenn ich Ihnen helfen soll, muss ich wissen, wie die Steine auf dem Brett liegen. Also heben Sie sich Ihre Leidenschaft und Theatralik für Ihre Memoiren auf, und beantworten Sie meine Fragen so präzise und so knapp wie möglich. Wenn Sie dazu im Augenblick nicht in der Lage sind, können wir uns später unterhalten. Doch es kann sein, dass ich sehr schnell handeln muss. Im typischen Verlauf einer Partie wie dieser arbeitet die Zeit nach einem Präventivschlag – und das ist der Überfall auf dem Flughafen Rom vermutlich gewesen – für die anderen. Wollen Sie jetzt reden, oder wollen wir erst zu Mittag essen?«
Hannah glitt auf den tatami -Boden hinab. Sie lehnte sich mit dem Rücken an den Türrahmen und blickte hinaus. Vor dem sonnendurchfluteten Garten hob ihr Profil sich ab wie eine kostbare Kamee. Nach einer Weile sagte sie: »Entschuldigen Sie. Ich habe viel durchgemacht.«
»Das bezweifle ich nicht. Aber jetzt erzählen Sie mir von dem Überfall. Tatsachen und Eindrücke, keine Emotionen!«
Sie senkte den Blick und malte mit dem Fingernagel kleine Kreise auf
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