Shibumi: Thriller (German Edition)
so.«
Sie saßen, die Finger ineinander verflochten, in dem dämmrigen Salon. Die Sonne war hinter den Bergen versunken, und durch die offenen portes-fenêtres drang ein silbriger Schimmer, der vom Parkboden aufstieg und bis in die Äste der schwarzgrünen Fichten drang, ein Schauspiel, das durch die Nähe des drohenden Gewitters flüchtig und daher besonders liebenswert erschien.
»Wie lange hast du in Amerika gelebt, Nikko?«
»Ungefähr drei Jahre, gleich nachdem ich Japan verlassen hatte. Ich habe sogar jetzt noch eine Wohnung in New York.«
»Ich wollte New York schon immer einmal sehen.«
»Du wärst enttäuscht. New York ist eine verängstigte Stadt, in der jedermann mit hängender Zunge dem Geld nachjagt: die Bankiers ebenso wie die Straßenräuber, die Geschäftsleute ebenso wie die Huren. Wenn du auf der Straße in ihre Augen blickst, siehst du darin zweierlei: Angst und Wut. Es sind reduzierte Menschen, die hinter dreifach verschlossenen Türen hocken. Sie kämpfen gegen Männer, die sie nicht hassen, und schlafen mit Frauen, die sie nicht lieben. Sie treiben haltlos in einer zersplitterten Gesellschaft und borgen sich Brosamen und Abfälle von allen Kulturen der Welt. Kir ist ein beliebtes Getränk bei jenen, die immer ›in‹ sein wollen; und sie bevorzugen Perrier, obwohl sie in einem Dorf namens Saratoga selbst eines der besten Mineralwässer der Welt fördern. Ihre feinsten französischen Restaurants bieten Mahlzeiten, für die wir hier dreißig Francs bezahlen würden, um das Zehnfache an, und der Service zeichnet sich durch eine unerträgliche Hochnäsigkeit der Kellner aus, die zumeist ungeschliffene Bauern sind, aber zufällig die Speisekarte lesen können. Aber die Amerikaner lassen sich gern von Kellnern schlecht behandeln. Denn daraus ergibt sich die einzige Möglichkeit für sie, ein Urteil über die Qualität der Speisen abzugeben. Andererseits, wenn man unbedingt in einer amerikanischen Großstadt leben will – was selbst im besten Fall immer noch eine grausame und ausgefallene Strafe ist –, dann schon lieber im echten New York als in seinen Imitationen weiter im Inland. Und es gibt wirklich auch einiges Positive an New York. Harlem besitzt echte Atmosphäre. Die städtische Bibliothek ist adäquat. Es gibt einen Mann namens Jimmy Fox, der ist der beste Barmixer von ganz Nordamerika. Und zweimal bin ich sogar in ein Gespräch über das Wesen des shibui geraten – nicht shibumi, natürlich nicht! Denn es liegt eher in der Kapazität ihres merkantilen Geistes, über die Charakteristika des Schönen zu sprechen als über das Wesen der Schönheit an sich.«
Hana riss ein langes Streichholz an und entzündete die Lampe auf dem Tischchen vor ihnen. »Aber ich erinnere mich, dass du einmal gesagt hast, dein Besitz in Amerika gefiele dir.«
»O ja, aber der liegt nicht in New York. Ich habe ein paar Tausend Hektar Land in Wyoming, in den Bergen.«
»Wy-om-ing. Das klingt romantisch. Ist es schön dort?«
»Eher erhaben, würde ich sagen. Die Landschaft ist zu zerklüftet und rau, um schön zu sein. Im Vergleich zu unseren Pyrenäen wirkt Wyoming wie eine flüchtige Tuschzeichnung neben einem Ölgemälde. Die amerikanische Landschaft ist an vielen Orten attraktiv. Leider ist sie von Amerikanern bewohnt. Aber Entsprechendes könnte man natürlich auch von Griechenland oder Irland sagen.«
»Ja. Ich weiß genau, was du meinst. Ich war auch schon einmal in Griechenland. Ich habe dort ein Jahr lang im Dienst eines Reeders gestanden.«
»Ach ja? Davon hast du mir nie erzählt.«
»Es war nicht erwähnenswert. Er war sehr reich und sehr vulgär, und er versuchte, Klasse und Prestige zu kaufen, gewöhnlich in Gestalt auffallender Ehefrauen. Während ich bei ihm war, umgab ich ihn mit ruhigem Komfort. Etwas anderes hat er nie von mir verlangt. Aber zu der Zeit konnte er auch nichts anderes mehr verlangen.«
»Ich verstehe. Ah, da ist Le Cagot!«
Hana hatte ihn nicht kommen hören, weil Le Cagot leise die Treppe heruntergeschlichen war, um sie mit seiner strahlenden Pracht zu überraschen. Hel musste lächeln, denn dem Freund ging eine Aura voraus, die jungenhaften Mutwillen und verschmitzte Freude verriet.
Er stand an der Tür, deren Rahmen sein massiger Körper fast ausfüllte, und breitete die Arme aus, um seine eleganten neuen Kleider zur Geltung zu bringen. »Seht her! Schau doch, Niko! Gleich wirst du vor Neid platzen!«
Offenbar hatte er sich den Abendanzug bei einem Theaterverleih
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