Shibumi: Thriller (German Edition)
essen!«
Das Dinner, beim Schein von zwei Kerzenleuchtern auf dem Tisch und einigen Wandlampen serviert, war zwar nicht üppig, aber gut: Forelle aus dem nahen gave, Rehbraten mit Cumberlandsoße und frisches Gemüse, auf japanische Art zubereitet. Die einzelnen Gänge waren durch Gespräche unterbrochen, und zum Abschluss wurde vor dem Dessert aus Obst und Käse ein erlesener Salat serviert. Jedes entrée und relevé war von den entsprechenden Weinen begleitet, und das besondere Problem von Wild in Obstsauce löste ein feiner Rosé, der den Geschmack zwar nicht eigens unterstrich, ihn aber auch nicht abschwächte. Mit leichtem Unbehagen bemerkte Diamond, dass Hel und Hana während der ersten Gänge nur Reis und Gemüse zu sich nahmen und sich den anderen erst beim Salat anschlossen. Außerdem trank zwar die Gastgeberin Wein mit ihnen, Hels Glas wurde jedoch aus jeder Flasche kaum mehr als benetzt, so dass er insgesamt nicht einmal ein ganzes Glas leerte.
»Sie trinken gar nicht, Mr. Hel?«, erkundigte er sich.
»Aber ja, das sehen Sie doch! Nur finde ich zwei Schluck Wein eben nicht köstlicher als einen.«
Als Weinkenner zu gelten und in ihrem vergeblichen Bemühen, Geschmacksnuancen zu beschreiben, pseudopoetisch zu werden ist eine Sucht unter den gesellschaftlich gewandteren Amerikanern, und Diamond hielt sich für einen Experten. Er schlürfte, bewegte den Wein mit der Zunge und kostete geräuschvoll, als er den Rosé, der zum Rehbraten serviert wurde, probierte. Endlich sagte er: »Ahhh, Tavel ist noch lange nicht gleich Tavel.«
Hel runzelte die Stirn. »Nun … das ist sicher richtig«, murmelte er.
»Aber das ist doch ein Tavel, nicht wahr?«
Als Hel daraufhin nur die Achseln zuckte und diskret das Thema wechselte, bekam Diamond vor Verlegenheit eine Gänsehaut im Nacken. Er war so sicher gewesen, dass es Tavel war!
Während des ganzen Dinners wahrte Hel ein distanziertes Schweigen; er ließ Diamond nur selten aus den Augen, obwohl sein Blick auf einen imaginären Punkt dicht hinter ihm gerichtet schien. Mühelos entlockte Hana den Gästen nacheinander Histörchen und Witze und freute und amüsierte sich so darüber, dass jeder das Gefühl hatte, alle anderen an Klugheit und Charme zu übertreffen. Selbst Starr, der nach der groben Behandlung durch Le Cagot einsilbig und schmollend dagesessen hatte, erzählte Hana schon bald von seiner Jugend in Flatrock, Texas, und seinen abenteuerlichen Kämpfen gegen die Gooks in Korea.
Le Cagot widmete sich anfangs ausschließlich der Aufgabe, sich mit Speisen vollzustopfen. Aber es dauerte nicht lange, und die Enden seiner vornehmen Halsbinde hingen schlaff herab, der lange Schwalbenschwanz wurde beiseitegelegt, und als er bereit war, die Unterhaltung an sich zu reißen und die Gäste ausführlich mit seinen herzhaften und nicht selten schlüpfrigen Geschichten zu amüsieren, saß er hemdsärmelig in seiner auffallenden Weste mit den Knöpfen aus Rheinkiesel da. Sein Platz war unmittelbar neben Hannah, und plötzlich legte er aus heiterem Himmel seine große warme Hand auf ihren Oberschenkel, drückte ihn freundschaftlich und sagte: »Schönes Kind, antworten Sie mir jetzt mal ganz ehrlich: Beabsichtigen Sie, Ihr unbezähmbares Verlangen nach mir heftig zu bekämpfen? Oder haben Sie schon die Waffen gestreckt? Ich frage nur, damit ich weiß, wie ich vorgehen soll. Inzwischen aber essen Sie, mein Kind, essen Sie! Sie werden all Ihre Kräfte brauchen. Also! Die Herren sind aus Amerika, eh? Ich war schon drei Mal in Amerika. Deswegen ist auch mein Englisch so gut. Man könnte mich wirklich für einen Amerikaner halten, eh? Bei meinem Akzent, meine ich.«
»O ja, zweifellos!«, antwortete Diamond, dem es allmählich dämmerte, wie wichtig für Männer wie Hel und Le Cagot die Symbolik des guten Stils sogar ihren Feinden gegenüber war, und der ihnen beweisen wollte, dass er bei jedem Spiel mithalten konnte.
»Aber sobald die Leute die Lauterkeit in meinen Augen leuchten sähen und die Musik meiner Gedanken vernähmen, wäre ich natürlich durchschaut. Dann würden Sie erkennen, dass ich kein Amerikaner sein kann.« Hel suchte ein Lächeln hinter der Serviette zu verbergen.
»Sie sind recht hart gegen die Amerikaner«, sagte Diamond zu Le Cagot gewandt.
»Mag sein«, gab der zu. »Und vielleicht bin ich auch ungerecht gegen sie. Aber wir kriegen hier nur den Abschaum zu sehen: Pfeffersäcke auf Urlaub mit ihren aufdringlichen Weibern, Soldaten mit ihren
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