Shibumi: Thriller (German Edition)
meine angeborene Intelligenz stets vor der Torheit bewahrt, an ein Leben nach dem Tod zu glauben. Aber man kann immerhin auch als Toter noch einen gewissen Störfaktor darstellen – und dieser Gedanke erfreut mich sehr.
Bitte besuche Estelle von Zeit zu Zeit und sorge dafür, dass sie sich begehrenswert fühlt. Und grüße mir Deine wundervolle Asiatin sehr herzlich!
In aufrichtiger Freundschaft,
Maurice.
PS : Habe ich neulich beim Dinner übrigens erwähnt, dass den Morcheln etwas Zitronensaft fehlte? Ich hätte es erwähnen sollen!
Hel zerriss die Verschnürung um das Päckchen und überflog den Inhalt. Eidesstattliche Erklärungen, Fotos, Akten, allesamt Unterlagen in Verbindung mit Personen und Regierungsorganisationen, die in den Mord an John F. Kennedy und in die Vertuschung wichtiger Aspekte des Attentats verwickelt waren. Besonders interessant schienen die Aussagen einer Person, die als der »Mann mit dem Regenschirm« bezeichnet wurde, einer anderen, die als der »Mann auf der Feuertreppe« aufgeführt war, und einer dritten, genannt das »Hügelkommando«.
Hel nickte. Das war allerdings gefährlicher Zündstoff.
Nach einer einfachen Mahlzeit aus Wurst, Brot und Zwiebeln, heruntergespült mit billigem Rotwein in Pierres unordentlichem Wohnzimmer, machten sie einen Spaziergang über das Grundstück, hielten sich aber sorgfältig von dem schmerzhaften Anblick der Ruine des Châteaus fern. Es wurde bereits Abend, lachsrote und violette Federwölkchen sammelten sich an den Bergspitzen.
Hel sagte, er würde für einige Tage verreisen; bei seiner Rückkehr könnte dann mit den Reparaturarbeiten begonnen werden.
»Wollen Sie mir das wirklich anvertrauen, M’sieur? Nachdem ich Sie so im Stich gelassen habe?« Pierre empfand Selbstmitleid. Er war zu der Erkenntnis gekommen, er hätte Madame besser beschützen können, wäre er nüchtern gewesen.
Hel wechselte das Thema. »Was können wir morgen für Wetter erwarten, Pierre?«
Der Alte warf einen lustlosen Blick zum Himmel, dann zuckte er gleichgültig die Achseln. »Keine Ahnung, M’sieur. Ehrlich gesagt, ich kann das Wetter gar nicht vorhersagen. Ich tue nur so …«
»Aber, Pierre! Ihre Wettervorhersagen waren immer zutreffend. Ich verlasse mich auf sie, und bisher haben sie mir immer geholfen.«
Stirnrunzelnd suchte Pierre sich zu erinnern. »Wirklich, M’sieur?«
»Ohne Ihren guten Rat würde ich mich nicht in die Berge wagen.«
»Wirklich?«
»Ich bin überzeugt, dass zur Wetterprophezeiung Weisheit, Alter und baskisches Blut erforderlich sind. Das Alter werde ich mit der Zeit zweifellos erreichen, die Weisheit vielleicht sogar auch. Aber das baskische Blut …« Seufzend schlug Hel nach einem Strauch am Wegrand.
Pierre dachte eine Weile schweigend über diese Worte nach. Schließlich erwiderte er: »Wissen Sie was? Ich glaube, Sie haben Recht, M’sieur. Es ist wahrscheinlich eine Begabung. Sogar ich tue zwar so, als ob es an den Zeichen am Himmel liegt, aber in Wirklichkeit ist es eine Begabung – eine Fähigkeit, die nur mein Volk besitzt. Sehen Sie zum Beispiel, dass die Himmelsschäfchen dort ein rostbraunes Fell haben? Also, dazu muss man unbedingt wissen, dass der Mond in seiner abnehmenden Phase steht und dass die Vögel heute Morgen sehr tief geflogen sind. Aus diesen Zeichen kann ich mit Sicherheit voraussagen, dass …«
DIE KIRCHE VON ALOS
Pater Xavier hielt den Kopf gesenkt und hatte die Finger an die Schläfe gepresst, so dass die verschwommenen Züge der alten Frau hinter dem Gitter des Beichtstuhls zum größten Teil von seiner Hand verdeckt waren. Es wirkte wie eine Haltung mitfühlenden Verständnisses, die es ihm jedoch gestattete, seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, während die Büßerin monoton weiterplapperte, jeden kleinsten Fehltritt erwähnte und hoffte, Gott durch die ermüdende Banalität ihrer Sünden davon zu überzeugen, dass sie keiner größeren Untat schuldig war. Sie hatte inzwischen den Punkt erreicht, an dem sie begann, auch die Sünden ihrer Mitmenschen zu beichten – Vergebung zu erbitten dafür, dass sie nicht stark genug gewesen war, ihren Mann vom Trinken abzuhalten, dass sie sich den bösen Klatsch von Madame Ibar, ihrer Nachbarin, angehört hatte, dass sie ihrem Sohn gestattet hatte, die Messe zu versäumen und stattdessen an der Wildschweinjagd teilzunehmen.
Automatisch bei jeder Pause einen ermunternden, fragenden Laut von sich gebend, beschäftigte sich Pater Xavier in Gedanken mit dem
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