Shibumi: Thriller (German Edition)
Sie doch nur, was sie uns angetan haben! Arme Madame! Haben Sie sie gesehen? Geht es ihr gut?«
Während der letzten vier Tage hatte Hel im Krankenhaus von Oloron den Platz an Hanas Bett nur verlassen, wenn die Ärzte es ihm befahlen.
Als Pierre den körperlichen Zustand seines patron erkannte, sah er ihn voller Mitgefühl in den tränennassen Augen an. »Aber sehen Sie sich nur an, M’sieur!« Unter Hels Kinn und über seinen Kopf war eine Mullbinde gewickelt, die die Kinnlade während des Heilvorgangs in der richtigen Lage halten sollte; die Prellungen im Gesicht waren noch immer grün und blau; sein Oberarm war unter dem Hemd fest an den Körper gebunden, um die Schulter zu fixieren, und beide Hände waren vom Handgelenk bis zum zweiten Fingerknöchel bandagiert.
»Sie sehen auch nicht viel besser aus, Pierre«, entgegnete er mit durch die geschlossenen Zähne gedämpfter Stimme.
Pierre zuckte die Achseln. »Ach, ich komme schon wieder auf die Beine. Aber sehen Sie? Unsere Hände gleichen sich!« Er hob die seinen und zeigte Hel dicke Mullverbände, die das Gel auf seinen verbrannten Handflächen schützten. Über seinem Auge prangte ein Bluterguss.
Auf Pierres offenem Hemd entdeckte Hel einen dunklen Fleck. Anscheinend war ihm ein Glas Wein aus den ungeschickten bandagierten Händen gerutscht. »Was ist mit Ihrem Kopf passiert?«
»Das waren diese Banditen, M’sieur. Einer von ihnen hat mich mit dem Gewehrkolben niedergeschlagen, als ich sie aufhalten wollte.«
»Erzählen Sie mir, wie alles passiert ist.«
»Ach, M’sieur! Es war einfach grauenhaft!«
»Erzählen Sie nur. Beruhigen Sie sich und erzählen Sie.«
»Wollen wir nicht lieber ins Torhaus gehen? Da könnte ich Ihnen ein Glas Wein anbieten. Und dann werde ich Ihnen alles erzählen.«
»Na schön.«
Als sie zu Pierres Torhäuschen kamen, machte der alte Gärtner den Vorschlag, Monsieur Hel könne jetzt bei ihm wohnen, denn sein bescheidenes Heim hatten die Banditen verschont.
Hel saß in einem tiefen Sessel mit zerbrochenen Sprungfedern, aus dem Pierre zuvor eine Menge Krimskrams entfernt hatte, um für den Gast Platz zu schaffen. Der Alte hatte aus der Flasche getrunken, weil sie wohl leichter zu halten war als ein Glas, und starrte nun von dem kleinen Fenster seines Wohnraumes im ersten Stock über das weite Tal hinaus.
»Ich war bei der Arbeit, M’sieur. Tausend Sachen waren zu erledigen. Madame hatte in Tardets telefonisch einen Wagen bestellt, der sie dahin bringen sollte, wo die Flugzeuge landen, und ich wartete auf ihn. Da hörte ich weit hinten über den Bergen so ein Brummen. Es wurde immer lauter. Und dann kamen sie wie riesige fliegende Insekten, ganz tief über die Gipfel, dicht über der Erde.«
»Wer kam?«
»Die Banditen! In autogiros.«
» In Hubschraubern?«
»Ja. Zwei. Mit fürchterlichem Getöse landeten sie im Park, und dann spuckten die hässlichen Maschinen viele Männer aus. Die hatten alle Gewehre. Sie trugen grüngefleckte Anzüge und hatten orangefarbene Mützen auf. Sie liefen auf das Château zu und riefen dabei einander etwas zu. Ich schrie hinter ihnen her, sie sollten verschwinden. Die Küchenmädchen kreischten und flohen ins Dorf. Ich lief hinter den Banditen her und drohte ihnen, ich würde alles M’sieur Hel erzählen, wenn sie nicht sofort wieder verschwänden. Einer von ihnen schlug mich mit seinem Gewehrkolben, und ich fiel zu Boden. Furchtbares Krachen! Explosionen! Und die ganze Zeit hockten die autogiros auf dem Rasen, und ihre Flügel drehten sich immer rund herum. Als ich wieder aufstehen konnte, lief ich zum Château. Ich wollte sie aufhalten, M’sieur. Ich wollte sie wirklich aufhalten!«
»Ich weiß.«
»Ja, aber sie liefen schon wieder zu ihren Maschinen zurück. Und ich wurde wieder niedergeschlagen! Als ich dann zum Château kam … Ach M’sieur! Alles weg! Nur noch Rauch und Flammen! Alles kaputt! Alles! Und dann, M’sieur … Oh gnädiger Gott im Himmel! Dann sah ich Madame in dem brennenden Haus am Fenster stehen. Rings um sie her ein Flammenmeer. Ich rannte hinein. Brennende Trümmer fielen auf mich herab. Als ich sie erreichte, stand sie ganz einfach da. Sie konnte nicht hinausfinden! Die Fenster waren ihr entgegengeborsten, und die Glasscherben … Oh Gott, M’sieur, die Glasscherben!« Pierre konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Er riss sich die Baskenmütze herunter und bedeckte sein Gesicht damit. Eine diagonale Linie über der Stirn trennte die weiße Kopfhaut
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