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Shibumi: Thriller (German Edition)

Shibumi: Thriller (German Edition)

Titel: Shibumi: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
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großen Meisterschaftsturnieren begleiten durfte – die in abgelegenen Erholungsorten stattfanden, wo die Spieler vor den Ablenkungen der Außenwelt geschützt werden konnten –, hatte er zum ersten Mal Gelegenheit, den Kampfgeist, mit dem Japan in den Krieg zog, aus erster Hand mitzuerleben. Auf den Bahnhöfen wurden lärmende Abschiedsfeiern für die Rekruten gegeben, und auf großen Transparenten stand zu lesen:
    HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH ZUR EINBERUFUNG
    und
    WIR BETEN UM SCHLACHTENGLÜCK FÜR EUCH .
    Er hörte von einem Jungen aus dem Nachbardorf, der bei der Musterung durchgefallen war und darum gebettelt hatte, trotzdem auf irgendeinen Posten gestellt zu werden, damit er die haji , die unaussprechliche Schande der Wehruntauglichkeit, nicht auf sich nehmen musste. Seine Bitten wurden ignoriert, und man schickte ihn mit der Bahn nach Hause. Am Fenster stehend, starrte er hinaus und murmelte immer wieder vor sich hin: Haji desu, haji desu. Zwei Tage später wurde sein Leichnam an der Bahnstrecke gefunden. Er hatte es vorgezogen, sich der Schande zu entziehen, statt zu den Verwandten und Freunden zurückzukehren, die ihn mit so großem Stolz und Jubel verabschiedet hatten.
    Für das japanische Volk war dieser Krieg wie für seine Feinde ein gerechter Krieg, ein Krieg, zu dem man sie gezwungen hatte. Es lag ein gewisser Stolz der Verzweiflung in dem Bewusstsein, dass dieses winzige Land, ohne nennenswerte natürliche Ressourcen außer dem Kampfgeist seiner Bevölkerung, allein gegen die Horden der Chinesen, gegen die ungeheuren Industriemächte von Amerika und Australien sowie gegen – bis auf vier – sämtliche europäische Nationen stand. Und jeder, der denken konnte, wusste, dass, wenn die Japaner durch diese Übermacht erst einmal ausreichend geschwächt worden waren, die erdrückende Masse der Sowjetunion über sie herfallen würde.
    Zunächst jedoch gab es nur Siege. Als man im Dorf erfuhr, dass die amerikanische Luftwaffe Tokio bombardiert hatte, nahmen die Bewohner die Nachricht voller Bestürzung und Empörung auf. Bestürzung, weil man ihnen versichert hatte, Japan sei unverwundbar. Empörung, weil, wenn auch die Wirkung des Bombardements nur gering war, die amerikanischen Flieger ihre Brandbomben willkürlich abgeworfen und Privathäuser und Schulen zerstört, aber – ironischer Zufall – nicht eine einzige Fabrik oder militärische Einrichtung getroffen hatten. Als Nikolai von den amerikanischen Bombern hörte, fielen ihm sofort die Northrop-Flugzeuge ein, die das Warenhaus »The Sincere« in Shanghai bombardiert hatten. Noch immer sah er die puppenhafte junge Chinesin in ihrem grünen Seidenkleid mit dem steifen, kleinen Kragen um den porzellanweißen Hals und mit dem bleichen Gesicht vor sich, wie sie nach ihrer verlorenen Hand suchte.
    Obwohl der Krieg alle Aspekte des Lebens beeinflusste, war er nicht das beherrschende Thema in Nikolais prägenden Jugendjahren. Drei Dinge waren ihm weit wichtiger: die regelmäßigen Fortschritte in seiner Ausbildung; die erholsamen und wiederbelebenden Phasen mystischer Ruhe, wann immer seine psychische Kraft nachließ; und, in seinem siebzehnten Lebensjahr, die erste Liebe.
    Mariko gehörte zu Otake-sans Schülern: ein scheues, zierliches junges Mädchen, nur ein Jahr älter als Nikko, der zwar die geistige Härte fehlte, um eine große Spielerin zu werden, deren Taktik jedoch ausgeklügelt und raffiniert war. Nikolai bestritt mit ihr zahlreiche Übungspartien, bei denen sie hauptsächlich das Eröffnungs- und das Mittelspiel trainierten. Ihre Scheu und seine Zurückhaltung ergänzten einander gut, und häufig saßen sie abends in dem kleinen Garten, wo sie ein wenig plauderten und viel schwiegen.
    Zuweilen wanderten sie auf dem einen oder anderen Botengang zusammen ins Dorf hinunter; dann beendete wohl ein flüchtiges Aneinanderstoßen der Arme unvermittelt ihr Gespräch und löste verlegenes Schweigen aus. Und dann, eines Tages, griff Nikolai mit einer Kühnheit, die nichts von dem halbstündigen inneren Kampf ahnen ließ, der dieser Geste vorausgegangen war, über das Spielbrett hinweg nach ihrer Hand. Schluckend und verzweifelt ihre Aufmerksamkeit auf das Brett konzentrierend, erwiderte Mariko den Druck seiner Finger, ohne ihn anzusehen, und während des restlichen Vormittags war das Spiel der beiden äußerst mangelhaft, während ihre Hände ineinanderlagen, die des Mädchens feucht aus Angst vor Entdeckung, die seine zitternd vor Erschöpfung wegen der

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