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Shibumi: Thriller (German Edition)

Shibumi: Thriller (German Edition)

Titel: Shibumi: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
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unbequemen Armhaltung; aber er wagte seinen Griff nicht zu lockern, geschweige denn ihre Hand loszulassen, aus Furcht, sie könne das als Zurückweisung auslegen.
    Erleichtert hörten beide den Ruf zum Mittagessen, das Prickeln heimlicher Sünde und Liebe jedoch pulsierte noch den ganzen Tag in ihrem Blut. Und am Tag darauf tauschten sie einen flüchtigen Kuss.
    In einer Frühlingsnacht, als Nikolai fast achtzehn war, wagte er sich in Marikos kleine Schlafkammer. In einem Haus, in dem so viele Menschen auf so engem Raum zusammenlebten, war ein nächtlicher Besuch ein Abenteuer voll verstohlener Gesten, leisen Geflüsters und angehaltenen Atems, während beim kleinsten wirklichen oder eingebildeten Geräusch das Herz des einen wild gegen die Brust des anderen pochte.
    Ihr Liebesspiel war ungeschickt, tastend, unendlich sanft.
    Obwohl Nikolai und General Kishikawa einander jeden Monat schrieben, konnte der General sich während seiner fünf Lehrjahre nur zweimal für einen kurzen Urlaub in Japan von seinen Pflichten als Verwaltungsoffizier frei machen.
    Der erste Besuch dauerte nur einen Tag, denn der General verbrachte den größten Teil seines Urlaubs in Tokio bei seiner Tochter, die erst kürzlich verwitwet war: ihr Mann, ein Marineoffizier, war mit seinem Schiff beim Sieg in der Korallensee gesunken, während sie mit ihrem ersten Kind schwanger war. Nachdem er ihr in der Trauer beigestanden und für ihr Wohlergehen gesorgt hatte, unterbrach der General seine Rückreise kurz, um die Otakes zu besuchen und Nikolai ein Geschenk in Gestalt zweier Bücherkisten zu bringen, die er aus beschlagnahmten Bibliotheken zusammengestellt hatte, weil er fand, der Junge dürfe seine Sprachbegabung nicht vernachlässigen. Die Bücher waren auf Russisch, Englisch, Deutsch, Französisch und Chinesisch geschrieben, wobei Letztere für Nikolai kaum von Nutzen waren, weil er in den Straßen Shanghais zwar fließend ein gewisses Gebrauchs-Chinesisch sprechen, niemals aber die Schrift lesen gelernt hatte. Dass die Sprachkenntnisse des Generals auf das Französische beschränkt waren, erwies sich darin, dass die beiden Kisten vier Ausgaben von Les Misérables in vier verschiedenen Sprachen enthielten – und, soweit Nikolai es beurteilen konnte, womöglich noch eine fünfte auf Chinesisch.
    An jenem Abend aß der General mit Otake allein, aber die beiden vermieden es, über den Krieg zu diskutieren. Als Otake-san Nikolais Arbeit und Fortschritte lobte, übernahm der General freudig die Rolle des japanischen Vaters, setzte die Begabung seines Schützlings herab und versicherte, es sei überaus freundlich von Otake, sich mit einem so faulen und unfähigen Schüler zu belasten. Aber den Stolz, der in seinen Augen leuchtete, konnte er nicht verbergen.
    Der Besuch des Generals fiel mit dem jusanya zusammen, dem Fest der Herbstlichen Mondbetrachtung. Auf einem Altar im Garten wurden dort, wo die Mondstrahlen sie treffen würden, Gaben von Blumen und Herbstgräsern dargebracht. In normalen Zeiten hätten die Opfergaben aus Obst und Speisen bestanden, jetzt aber, bei der kriegsbedingten Lebensmittelknappheit, setzte Otakes gesunder Menschenverstand seiner Traditionsverbundenheit eine Grenze. Er hätte zwar wie seine Nachbarn die Speisen erst darbieten und sie am nächsten Tag auf den Familientisch bringen können, doch so etwas war für ihn undenkbar.
    Nach dem Essen saß der General mit Nikolai im Garten, und sie sahen zu, wie sich der aufgehende Mond aus den Baumwipfeln löste.
    »Also, Nikko, nun erzähle. Hast du shibumi, dein Ziel, erreicht, wie du es dir vorgenommen hattest?« In seiner Stimme schwang ein liebevoll-neckender Ton.
    Nikolai senkte den Blick. »Ich war voreilig, Sir. Ich war jung.«
    »Jünger, ja. Wahrscheinlich hast du festgestellt, dass das Fleisch und die Jugend beachtliche Hindernisse für deine Bemühungen sind. Mag sein, dass es dir mit der Zeit gelingt, jene lobenswerte Verfeinerung des Verhaltens und der äußeren Erscheinung auszubilden, die man als shibusa bezeichnen könnte. Ob du aber jemals die profunde Schlichtheit des Geistes erreichen wirst, die wirkliches shibumi ist, sei dahingestellt. Suchen sollst du danach, selbstverständlich. Aber sei auch bereit, mit Anstand Bescheideneres zu akzeptieren. Damit müssen sich die meisten von uns zufriedengeben.«
    »Vielen Dank für Ihre Unterweisung, Sir. Aber ich würde den Misserfolg in dem Bemühen, ein Mann des shibumi zu werden, dem Erfolg im Streben nach einem

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