Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shibumi: Thriller (German Edition)

Shibumi: Thriller (German Edition)

Titel: Shibumi: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
Vom Netzwerk:
kommen?«
    Nikolai erkannte, dass diese übergreifenden Widersprüche das, was so unendlich simpel war, chaotisch erscheinen ließen, aber er wusste nicht, wie er sich mit dem schwerfälligen Instrumentarium der Sprache ausdrücken sollte.
    Otake-san kam ihm zu Hilfe. »Du willst also sagen, dass du während dieser Erlebnisse kein Gefühl für die Zeit hast? Dass du nicht weißt, wie lange sie dauern?«
    »Ich weiß genau, wie lange sie dauern, Lehrer. Wenn ich mich entferne, gehe ich nicht weg. Ich bin, wo mein Körper ist, und gleichzeitig woanders. Ich träume nicht vor mich hin. Manchmal dauert eine Ruhepause ein bis zwei Minuten. Und manchmal dauert sie mehrere Stunden. Sie dauert eben genau so lange, wie es für mich notwendig ist.«
    »Und kommen sie oft, diese … Ruhepausen?«
    »Das ist verschieden. Höchstens zwei- bis dreimal am Tag. Aber manchmal habe ich einen ganzen Monat lang keine Ruhepause. Dann fehlen sie mir wirklich sehr. Und ich fürchte, dass sie womöglich nie wiederkommen.«
    »Kannst du diese Ruhepausen nach Belieben auslösen?«
    »Nein. Aber ich kann sie abblocken. Und ich muss aufpassen, dass ich sie nicht blockiere, wenn ich sie brauche.«
    »Wie blockierst du sie?«
    »Indem ich wütend werde. Oder Hass empfinde.«
    »Wenn du Hass empfindest, ist dir kein solches Erlebnis möglich?«
    »Wie sollte es? Ausruhen ist das Gegenteil von Hass.«
    »Also Liebe?«
    »Es könnte Liebe sein, wenn es mit Menschen zu tun hätte. Aber es hat nichts mit Menschen zu tun.«
    »Womit denn?«
    »Mit allem. Mit mir. Das ist ein und dasselbe. Wenn ich mich ausruhe, ist alles und ich … Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll.«
    »Wirst du eins mit allem?«
    »Ja. Nein, nicht ganz. Ich werde nicht eins mit allem. Ich bin wieder eins mit allem. Verstehen Sie, was ich meine?«
    »Ich versuche es. Nehmen wir diese ›Ruhepause‹, die du hattest, als wir vorhin spielten. Beschreib mir doch bitte, wie die verlief.«
    Nikolai hob hilflos die Hände. »Wie kann ich das?«
    »Versuch es. Fang an mit: Wir spielten, und Sie hatten soeben den Stein sechsundfünfzig platziert, und … Mach du weiter.«
    »Es war Stein achtundfünfzig, Lehrer.«
    »Nun gut, dann eben achtundfünfzig. Was geschah dann?«
    »Nun ja … der Spielfluss war genau richtig, und da begann es mich zur Wiese zu führen. So fängt es immer an, mit einer Art Fließbewegung … mit einem Fluss oder Strom oder mit dem Wind, der Wellen in einem reifen Reisfeld beschreibt, mit dem Glitzern von Blättern in einer Brise, mit vorüberziehenden Wolken. Und wenn die Struktur des Go-Spiels klassisch und schön fließt, kann mich auch das auf die Wiese führen.«
    »Auf die Wiese?«
    »Ja. Das ist der Ort, an den ich gelange. Daran erkenne ich, dass ich mich ausruhe.«
    »Handelt es sich um eine wirkliche Wiese?«
    »Selbstverständlich.«
    »Um eine Wiese, auf der du einmal gewesen bist? Um einen Ort, an den du dich erinnerst?«
    »Nein, in meiner Erinnerung gibt es sie nicht. Im reduzierten Zustand bin ich noch nie dort gewesen.«
    »Reduziert?«
    »Sie wissen schon … Wenn ich in meinem Körper bin und nicht ausruhe.«
    »Dann ist das normale Leben für dich ein reduzierter Zustand?«
    »Für mich ist die Zeit, die ich in der Ruhe verbringe, normal. Während die Zeit hier … begrenzt ist, und … ja, eben reduziert.«
    »Erzähl mir mehr von deiner Wiese, Nikko.«
    »Sie ist dreieckig. Und steigt an, von mir fort. Das Gras ist hoch. Es gibt keine Tiere. Kein Wesen ist jemals über das Gras geschritten oder hat es gefressen. Es gibt Blumen, eine leichte Brise … warm. Blassblauer Himmel! Ich freue mich immer sehr, wieder das Gras zu sein.«
    »Du bist das Gras?«
    »Wir sind einer das andere. Wie die Brise und das goldene Sonnenlicht. Wir sind alle … miteinander vermischt.«
    »Aha. Ich verstehe. Deine Beschreibung dieser mystischen Erlebnisse ist den anderen, von denen ich gelesen habe, sehr ähnlich. Und diese Wiese ist das, was die Autoren als den ›Einstieg‹ oder ›Weg‹ bezeichnen. Hast du sie schon einmal so betrachtet?«
    »Nein.«
    »Gut. Was geschieht dann?«
    »Gar nichts. Ich ruhe. Ich bin überall zugleich. Und alles ist unwichtig und schön. Und dann … fange ich an, mich zu reduzieren. Ich löse mich vom Sonnenlicht und von der Wiese und schrumpfe, kehre in mein körperliches Ich zurück. Die Ruhepause ist vorbei.« Nikolai lächelte unsicher. »Ich fürchte, ich habe es nicht sehr gut beschrieben, Lehrer. Es ist etwas, das

Weitere Kostenlose Bücher