Shibumi: Thriller (German Edition)
geringeren Ziel vorziehen.«
Der General nickte lächelnd. »Ja, natürlich würdest du das. Ich hatte gewisse Aspekte deiner Persönlichkeit außer Acht gelassen. Wir waren zu lange getrennt.« Eine Zeit lang genossen sie schweigend den Garten. »Sag, Nikko, bleibst du mit deinen Sprachen auch in der Übung?«
Nikolai gestand, dass er beim Durchblättern einiger der Bücher, die ihm der General mitgebracht hatte, feststellen musste, dass sein Deutsch und sein Englisch einrosteten.
»Das darfst du nicht zulassen. Vor allem dein Englisch musst du üben. Wenn der Krieg vorbei ist, werde ich nicht in der Lage sein, dir zu helfen, und du hast außer deiner Sprachbegabung nichts, womit du etwas anfangen könntest.«
»Das klingt, als würden wir den Krieg verlieren, Sir.«
Kishikawa-san schwieg lange, und Nikolai las Trauer und Müdigkeit in seinem Gesicht, das im Mondlicht blass und verschwommen wirkte. »Letztlich werden alle Kriege verloren. Von beiden Seiten, Nikko. Die Zeiten, in denen die Schlachten zwischen Berufskriegern ausgefochten wurden, sind vorbei. Jetzt finden die Kriege zwischen gegnerischen Industriekapazitäten, zwischen gegnerischen Völkern statt. Die Russen werden mit ihrem Meer gesichtsloser Menschen die Deutschen besiegen. Die Amerikaner mit ihren anonymen Fabriken werden uns besiegen. Letzten Endes.«
»Und was werden Sie tun, wenn das geschieht, Sir?«
Der General schüttelte langsam den Kopf. »Das spielt keine Rolle. Ich werde bis zuletzt meine Pflicht tun. Ich werde weiterhin sechzehn Stunden am Tag meine kleinen administrativen Probleme bearbeiten. Ich werde weiterhin als Patriot funktionieren.«
Nikolai musterte ihn fragend. Noch nie hatte er Kishikawa-san bisher von Patriotismus sprechen hören.
Der General lächelte matt. »Aber ja, Nikko! Ich bin wirklich ein Patriot. Kein Patriot der Politik, der Ideologie, der Militärkapellen oder des hinomaru. Aber dennoch ein Patriot. Ein Patriot der Gärten, wie diesem hier, der Mondfeste, der Feinheiten des Go-Spiels, des Gesangs unserer Frauen beim Reispflanzen, der Kirschbäume in ihrer kurzen Blütezeit – all dessen, was japanisch ist. Dass ich um unsere bevorstehende Niederlage weiß, hat nichts damit zu tun, dass ich weiterhin meine Pflicht tun muss. Verstehst du das, Nikko?«
»Die Worte ja, Sir.«
Der General lachte leise. »Vielleicht steckt auch nicht mehr dahinter. Geh jetzt zu Bett, Nikko. Lass mich bitte noch ein Weilchen allein. Morgen früh werde ich abreisen, bevor du erwachst, aber es hat mir Freude gemacht, diese kurze Zeit mit dir zu verbringen.«
Nikko neigte den Kopf und erhob sich. Noch lange, nachdem er gegangen war, saß der General da und betrachtete ruhig den mondbeschienenen Garten.
Sehr viel später erfuhr Nikolai, dass General Kishikawa Geld für den Unterhalt und die Ausbildung seines Schützlings hatte zurücklassen wollen, aber Otake-san die Summe mit der Begründung zurückgewiesen hatte, es wäre, wenn Nikolai wirklich ein so unwürdiger Schüler sei, wie es der General behauptete, unmoralisch von ihm, sich seine Ausbildung bezahlen zu lassen. Der General sah seinen alten Freund an und schüttelte lächelnd den Kopf. Mit List hatte man ihn dazu gebracht, eine Gefälligkeit anzunehmen.
Das Kriegsglück wandte sich gegen die Japaner, die ihre begrenzte Produktionskapazität in einen kurzen, totalen Krieg investiert hatten, der zu einem günstigen Frieden führen sollte. Überall, wohin man sah, waren Anzeichen der bevorstehenden Niederlage erkennbar: in dem hysterischen Fanatismus der Regierungs-Durchhalteparolen im Radio, in den Berichten der Flüchtlinge über verheerende Flächenbombardierungen von Wohnvierteln durch amerikanische Flugzeuge, im zunehmenden Mangel an den notwendigsten Verbrauchsgütern.
Selbst in ihrem kleinen Dorf wurden, nachdem die Bauern ihre Produktionsquoten abgeliefert hatten, die Lebensmittel knapp, und oft genug lebte die Otake-Familie von z osui, einer Suppe aus gehackten Möhren und Steckrüben mit Reis, die nur durch Otake-sans ausgeprägten Sinn für Humor genießbar wurde. Er aß gestenreich, mit übertriebenen Äußerungen des Behagens, rollte die Augen und klopfte sich den Magen so komisch, dass seine Kinder und Schüler lachen mussten und den faden, pappigen Geschmack auf ihrer Zunge vergaßen. Anfangs wurden Flüchtlinge aus der Stadt noch voller Mitleid versorgt; mit der Zeit jedoch wurden diese zusätzlichen hungrigen Mäuler zur Last, die Flüchtlinge wurden
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