Shibumi: Thriller (German Edition)
waren. Aus hygienischen Gründen stand diese Pritsche nach westlicher Art ein Stück über dem Fußboden, aber nur etwa zwanzig Zentimeter. Aus Sicherheitsgründen und um Material zu vermeiden, das zum Selbstmord hätte verwendet werden können, besaß das Bett weder Bretter noch eine Federkernmatratze, sondern bestand aus nichts als dieser glatten Stahlplatte mit zwei gesteppten Decken darauf. Das Bett stand unmittelbar gegenüber der Tür, die von den drei Attributen der Zelle wohl das komplizierteste war. Sie bestand aus schwerem Stahl und bewegte sich lautlos in sorgfältig geschmierten Angeln; außerdem passte sie so genau in ihren Rahmen, dass die Luft in der Zelle komprimiert wurde, wenn sich die Tür schloss, und der Gefangene vorübergehend Ohrensausen bekam. In die Tür war ein Beobachtungsfenster aus dickem, drahtverstärktem Glas eingelassen, durch das die Wärter regelmäßig das Verhalten des Gefangenen überwachten. Ganz unten in der Tür befand sich eine vernietete Klappe zum Durchreichen des Essens. Das dritte Charakteristikum der Zelle war eine geflieste Vertiefung im Boden: die Hocktoilette. Mit japanischer Rücksicht auf Würde war sie in einer Ecke der Wand untergebracht, an der sich die Tür befand, damit der Insasse seine Notdurft nicht im Blickfeld der Wärter zu verrichten brauchte. Senkrecht über dieser Einrichtung war ein Belüftungsrohr von drei Zoll Durchmesser in die Betondecke eingelassen.
Innerhalb des strengen Rahmens der Isolierhaft war Nikolais Leben mit kleinen Ereignissen ausgefüllt, die den Zeitablauf akzentuierten und maßen. Zweimal pro Tag, morgens und abends, bekam er durch die Türklappe sein Essen, und am Morgen gab es überdies einen Eimer Wasser und ein kleines Stückchen körniger Seife, die einen dünnen, fettigen Schaum abgab. Täglich wusch er sich von Kopf bis Fuß, spülte sich mit Händen voll Wasser sauber, trocknete sich mit seinem groben, wattierten Hemd ab und benutzte, was an Wasser übrig geblieben war, um die Toilette zu reinigen.
Seine Kost war karg, aber gesund: unpolierter Reis, Eintopf aus Gemüse und Fisch und dazu dünner, lauwarmer Tee. Die Gemüse wechselten mit den Jahreszeiten ein wenig und waren immerhin nicht so zerkocht, dass sie ihren Nährwert verloren hätten. Gebracht wurde ihm das Essen auf einem unterteilten Metalltablett und mit einem Paar Wegwerfstäbchen, die am unteren Ende verbunden waren. Wenn sich die kleine Klappe öffnete, wartete der Kalfaktor stets, bis der Gefangene das benutzte Tablett mit den gebrauchten Stäbchen und der Papierhülle (sogar über sie musste Rechenschaft abgelegt werden) zurückgegeben hatte, bevor er die neue Mahlzeit hineinreichte.
Zweimal pro Woche wurde zur Mittagszeit seine Zellentür geöffnet, und ein Wärter winkte ihn wortlos heraus. Da die Wärter nicht mit ihm sprechen durften, fand die Kommunikation ausschließlich durch umständliche und manchmal auch komische Pantomimen statt. Er folgte dem Wärter ans Ende des Korridors, wo sich eine schwere Stahltür (sie quietschte jedes Mal in den Angeln) auf einen Innenhof öffnete, einen schmalen Gang zwischen zwei gesichtslosen Gebäuden, der an beiden Seiten von hohen Backsteinmauern gesäumt war; hier, unter einem Rechteck offenen Himmels, durfte er zwanzig Minuten lang allein an der frischen Luft spazieren gehen. Er wusste, dass er von den Wachen im Turm am Ende des Hofes ständig beobachtet wurde, doch ihre Fenster reflektierten den Himmel, daher konnte er sie nicht sehen und sich so der Illusion hingeben, ganz allein und beinahe frei zu sein. Bis auf zweimal, als er hohes Fieber hatte, nahm er diese zwanzig Minuten im Freien stets wahr, auch wenn es draußen regnete oder schneite; und nach dem ersten Monat benutzte er diese Zeit dazu, auf dem kleinen Hof hin und her zu laufen so schnell er konnte, die Muskeln zu strecken und möglichst viel von der Energie, die in ihm gärte, zu verbrauchen.
Am Ende des ersten Monats, als die Nachwirkungen der Drogen abgeklungen waren, fasste Nikolai den Entschluss, seine Gefangenschaft zu überleben; der Anstoß dazu entsprang zum Teil seiner eingewurzelten Hartnäckigkeit und zum Teil dem lebenserhaltenden Gedanken an Rache. Er aß jedes Mal alles auf, was man ihm brachte, und trieb zweimal am Tag, jeweils nach dem Essen, energisch Gymnastik, entwickelte Übungen, die jeden Muskel in seinem drahtigen Körper straff und elastisch hielten. Nach diesen Trainingsperioden nahm er in einer Zellenecke den Lotussitz
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