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Shibumi: Thriller (German Edition)

Shibumi: Thriller (German Edition)

Titel: Shibumi: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
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ein und konzentrierte sich auf das Pulsieren des Blutes in seinen Schläfen, bis er den inneren Frieden einer halbtiefen Meditation erreichte – ein schwacher Ersatz für das verlorene Ausruhen der Seele in mystischer Entrückung, aber ausreichend, um seinen Verstand gelassen und klar zu erhalten, unbeeinflusst von Verzweiflung und Selbstmitleid. Er erzog sich dazu, niemals über die Zukunft nachzudenken, sondern vorauszusetzen, dass es eine für ihn geben würde, denn die Alternative hätte zu selbstzerstörerischer Verzweiflung geführt.
    Nach mehreren Wochen beschloss er, seine Zuversicht, eines Tages herauszukommen und sein Leben wiederaufnehmen zu können, dadurch zu nähren, dass er den Ablauf der Zeit verfolgte. Willkürlich nannte er den folgenden Tag Montag und setzte ihn als den ersten April fest. Er hatte sich um nur acht Tage geirrt, doch das sollte er erst drei Jahre später erfahren.
    Sein einsames Leben in der Zelle war nun ausgefüllt. Zwei Mahlzeiten, einmal Waschen, zwei Gymnastikeinlagen und zwei Meditationen am Tag. Zweimal pro Woche das Vergnügen, den schmalen Freiluftgang hinauf und hinunter laufen zu dürfen. Einmal im Monat Besuch von einem Barbierkalfaktor, der ihn rasierte und ihm mit einer handbetriebenen Haarschneidemaschine den Kopf so bearbeitete, dass einen Zentimeter lange Stoppeln zurückblieben. Dieser alte Gefangene befolgte zwar das Sprechverbot, zwinkerte und grinste ihm aber ständig zu, um die Kameradschaft zwischen ihnen zu betonen. Ebenfalls einmal im Monat, jeweils zwei Tage nach dem Besuch des Barbiers, war bei der Rückkehr von seinem Spaziergang die Bettwäsche gewechselt, und Wände und Fußboden der Zelle waren nass; der Gestank des Desinfektionsmittels lag noch drei oder vier Tage später in der Luft.
    Eines Morgens, nachdem er sechs Monate stumm in seiner Zelle verbracht hatte, wurde er von einem Geräusch aus seiner Meditation gerissen. Jemand schloss die Zellentür auf. Zuerst reagierte er verärgert und auch ein wenig ängstlich auf diese vermeintliche Unterbrechung seiner sonst so beständigen Routine. Später erfuhr er, dass dieser Besuch keine Anomalie, sondern im Gegenteil das abschließende Element der Zyklen war, die sein Leben einteilten. Einmal in sechs Monaten wurde er von einem ältlichen, überarbeiteten Beamten besucht, dessen Aufgabe es war, sich um die leiblichen und psychischen Bedürfnisse der Insassen dieses so fortschrittlichen Gefängnisses zu kümmern. Der alte Mann stellte sich als Herr Hirata vor und erklärte Nikolai, sie hätten ausnahmsweise Sprecherlaubnis. Er setzte sich auf Nikolais niedrige Pritsche, stellte seinen vollgestopften Aktenkoffer neben sich, öffnete ihn, suchte einen Fragebogen heraus und schob ihn in das Klemmbrett auf seinem Schoß. Mit heiserer, gelangweilter Stimme stellte er Fragen über Nikolais Gesundheitszustand und Befinden und hakte jedes Mal, wenn Nikolai nickte, die entsprechende Frage ab.
    Nachdem er mit seiner Bleistiftspitze die Reihe noch einmal entlanggefahren war, um sicherzustellen, dass alle Fragen beantwortet waren, blickte Herr Hirata ihn mit feuchten, müden Augen an und fragte, ob Herr Hel (Heru) offizielle Gesuche stellen oder Beschwerden vorbringen wolle.
    Nikolai schüttelte automatisch den Kopf … Dann aber fiel ihm etwas ein. »Ja«, wollte er sagen, aber seine Kehle war so zugeschwollen, dass nur ein krächzender Laut herauskam – ihm wurde auf einmal klar, dass er das Sprechen nicht mehr gewohnt war. Er räusperte sich und versuchte es noch einmal. »Ja, Sir. Ich hätte gern Bücher, Papier, Federhalter und Tinte.«
    Herrn Hiratas dicke gekrümmte Brauen hoben sich, er wandte den Blick ab und sog die Luft zwischen den Zähnen ein. Das war eindeutig eine ausgefallene Bitte. Es würde sehr schwierig sein, sie zu erfüllen. Es würde Ärger geben. Dennoch notierte er das Gesuch sorgfältig in der für diesen Zweck vorgesehenen Spalte.
    Nikolai merkte erstaunt, wie sehnsüchtig er sich Bücher und Papier wünschte, obwohl er ganz genau wusste, dass er damit den Fehler beging, auf etwas zu hoffen und eine Enttäuschung zu riskieren, wodurch er das labile Gleichgewicht seines seelischen Dämmerzustands gefährdete, in dem jeder Wunsch unterdrückt und jegliche Hoffnung auf das Maß neutraler Erwartung reduziert worden war. Trotzdem sprach er tapfer weiter. »Es ist meine einzige Chance, Sir.«
    »Ihre einzige Chance?«
    »Ja, Sir. Ich habe nichts …« Nikolai begann wieder zu krächzen und

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