Shimmer
sagte Claudia.
»Wirklich?«
Daniel fragte es mit einem ungläubigen Unterton, der Claudia einen Schauder über den Rücken jagte.
Was, wenn er es schon wusste?
Nein, sagte sich Claudia, sonst hätte er es sicher schon gesagt.
Zumindest hätte er irgendetwas gesagt.
Tatsache jedoch war, dass er nichts wusste, gar nichts, weder über ihre Untreue noch über die Fotos oder die Erpressung.
»Ich vermisse dich«, sagte Daniel. »Wir alle vermissen dich sehr.«
Tiefe Scham überkam Claudia. Sie öffnete den Mund, um zu gestehen; sie wollte es endlich loswerden, selbst wenn sie ihrer Ehe damit einen furchtbaren Schlag versetzte. Dann aber schloss sie den Mund wieder.
»Claudia?«
»Ich vermisse euch auch«, sagte sie. »Aber wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gerne noch ein paar Tage hierbleiben. Dann kann ich meinen kleinen Neffen noch ein wenig näher kennen lernen und ein bisschen helfen.«
»Wenn du willst«, erwiderte Daniel steif. »Ich komme schon allein zurecht.«
»Geht es den Jungs gut?«, fragte Claudia. »Keine Probleme?«
Am liebsten hätte sie Daniel gesagt, er solle ihre Computer zum Absturz bringen, die E-Mail-Accounts blockieren, ihre Faxnummern sperren lassen und dafür sorgen, dass sie auch keine Post bekamen.
Dann kam ihr plötzlich der Gedanke, dass sie Daniel dazu überreden könnte, mit Robbie und Mike nach Florida zu kommen, und für einen Augenblick keimte Hoffnung in ihr auf. Dann aber ermahnte sie sich, dass Daniel weder sein Geschäft verlassen noch die Jungs so kurz vor den Ferien aus der Schule nehmen würde, jedenfalls nicht wegen einer Laune seiner Frau.
Außerdem war Jerome hier.
Und sie, Claudia, war nicht nur eine Ehebrecherin, sie log auch wie gedruckt. Sie hatte es noch nicht verdient, ihre Söhne hier bei sich zu haben.
»Den Jungs geht es gut«, beantwortete Daniel ihre Frage. »Sie haben Verständnis dafür, dass du im Augenblick bei deiner Schwester und bei Joshua sein willst.«
»Nur noch ein paar Tage«, sagte Claudia.
Vielleicht würde sie bis dahin ja den Mut aufbringen, ihm gegenüberzutreten und die Wahrheit zu sagen. Dann könnten sie versuchen, alles wieder ins Lot zu bringen.
Und vielleicht würde Jerome Cooper ja wieder zurück nach Chicago kriechen, und sie würden nie mehr von ihm hören.
Hätte, wäre, wenn ...
37
Barun Adani war aufs Polizeirevier gekommen, um die beiden Detectives zu bitten, ihm bei der möglichst raschen Freigabe der Leiche seines Bruders zu helfen.
Sam fand ein abgelegenes Büro für das Gespräch, einen Raum, von dem er hoffte, dass er nicht ganz so trostlos war wie ein Verhörzimmer, denn das Thema an sich war schon trostlos genug.
»Wissen Sie irgendetwas über den hinduistischen Glauben in Bezug auf den Tod?« Barun kam gleich auf den Punkt, nachdem Martinez ihnen Kaffee gebracht hatte.
»Ein wenig«, antwortete Sam und schaute seinen Partner an. »Al?«
»Noch weniger«, sagte Martinez. »Tut mir leid.«
»Wir glauben an die Reinkarnation – das sollten wir zumindest«, erklärte Barun. »Wir glauben daran, dass die Seele nach dem Tod von einem Körper zum nächsten wandert. Unter normalen Umständen versammeln sich die Familienmitglieder um den Verstorbenen, und zwar so schnell wie möglich, denn traditionell wird der Körper binnen vierundzwanzig Stunden nach dem Tod verbrannt. Wenn Menschen so plötzlich sterben wie mein Bruder ...« Seine Selbstbeherrschung bröckelte ein wenig. Er schaute auf seine Hände hinunter, nahm sich einen Moment Zeit und fuhr dann fort: »Wenn der Verstorbene keine Zeit hatte, sich auf seinen Tod vorzubereiten, gebietet die Tradition, dass wir auf die vollständigen Riten verzichten – ich nehme an, um die Wiedergeburt nicht zu verzögern.«
»Was jede Verzögerung von offizieller Seite zu einer besonderen Belastung für Sie macht«, sagte Sam. »Aber ich kann Ihnen versichern, dass alle Betroffenen ...«
»Ja, ich weiß«, unterbrach Barun ihn. »Alle tun ihr Bestes. Und ich bin mir bewusst, dass unser Glaube nicht der einzige ist, bei dem Zeit eine wichtige Rolle spielt.« Verlegen schüttelte er den Kopf. »Tut mir leid, wenn ich unhöflich erscheine.«
»Sie sind nur ehrlich«, erwiderte Sam.
»Es ist bloß ... Dass unsere Eltern nicht sofort alles für Sanjiv tun können, macht das Ganze für sie noch unerträglicher, als es ohnehin schon ist.«
Martinez beugte sich zu Barun vor. »Sie müssen versuchen, ihnen verständlich zu machen, dass es hier nicht nur um
Weitere Kostenlose Bücher