Shimmer
fuhr.
So leise wie möglich stand Sam auf, zog sich Shorts und ein T-Shirt an und ging ins Kinderzimmer, um einen Blick auf Joshua zu werfen.
Nur dass Joshuas Tante schon da war. Sie stand an der Wiege.
Sam blieb in der Tür stehen. Er wollte sich nicht aufdrängen, doch Claudia hatte ihn bereits gesehen.
»Bitte«, flüsterte sie. »Kümmere dich nicht um mich.«
Sam kam ins Zimmer, und ein paar Augenblicke betrachteten er und Claudia den kleinen Jungen, der friedlich und in völliger Unschuld schlief, den kleinen Babymund leicht geöffnet und die Arme ausgestreckt, die winzigen Handflächen nach oben.
Dieses süße, vertrauensvolle Wesen kannte noch keine Furcht. Selbst wenn Fremde zu Besuch kamen oder auf der Straße in den Kinderwagen schauten, lächelte Joshua sie an oder betrachtete sie voller Interesse, manchmal auch mit offener Neugier.
Wache über ihn, betete Sam wie jede Nacht.
Claudia lächelte ihn an, und er sah, dass ihre Augen feucht waren.
Er fühlte sich schuldig, weil er sich gewünscht hatte, dass sie nach Hause fuhr.
»Wie wär’s mit einer Tasse Tee?«, fragte er leise.
Claudia schüttelte den Kopf. »Ich versuche lieber, noch ein bisschen zu schlafen.«
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte Sam.
»Es wird langsam«, antwortete sie.
Doch selbst in dem schwachen Licht sah Sam genug, um ihr nicht zu glauben.
41
Die Menagerie war zum Bersten voll.
Überall Körper, die im Takt der hämmernden Musik zuckten, neunzig Prozent Männer, jung, mittleren Alters und älter, schwarz, weiß und sämtliche Schattierungen dazwischen. Gute Zeiten.
Cal war schon eine Weile hier, und Fleischmangel gab es keinen, so viel stand fest. Allerdings hatte noch niemand das Feuer in ihm entfacht. Er hatte Taaka Dry getrunken, was angeblich nach Wacholderbeeren schmeckte; doch hätte er gekonnt, er hätte sich einen richtig guten Tanqueray genehmigt. Allerdings waren die Kosten für die Baby so hoch – ganz zu schweigen von der Miete für das Drecksloch plus der Tatsache, dass er im Augenblick niemanden über den Tisch ziehen durfte –, dass er von Glück sagen konnte, wenn er sich überhaupt einen Tropfen Gin leisten konnte.
Doch nun schien sein Glück sich zu ändern, denn ein Kerl warf ihm vielversprechende Blicke zu.
Nur war er überhaupt nicht Cals Typ.
Trotzdem knisterte es irgendwie zwischen ihnen.
Und wenn der Typ wirklich einen Schwanz hatte, der zu der Beule in seiner Hose passte ...
Cal kippte den letzten Rest Taaka herunter und schaute dem Burschen mit einem langen, heißen Blick in die dunklen Augen. Dann drehte er sich um und ging seinen langsamen Gang, gemächlich, immer weiter, bis er die Bar verlassen hatte und in der heißen Nacht draußen auf dem Bürgersteig stand.
Wenn der Typ jetzt nicht im Kielwasser des Freudenspenders folgte, würde Cal seinen sprichwörtlichen Hut fressen.
Da kommt er.
Also doch kein Hut zum Abendessen.
42
Mildred Bleeker konnte nicht schlafen.
Es war eine jener Nächte, in denen sie einfach nicht zur Ruhe kam. Normalerweise lullten das Rauschen des Meeres und das stete, dumpfe Hämmern der Partymusik am Ocean Drive sie ein, doch manchmal war sie zu sehr aufgekratzt; eine bessere Beschreibung dafür gab es nicht. Es war dem Gefühl, das ihre Mutter »Hummeln im Hintern« genannt hatte, nicht unähnlich, doch es war nicht das Gleiche.
Und immer wenn Mildred es verspürte, war es am besten, sie ging spazieren.
Als sie jünger, frischer und noch nicht ganz so unansehnlich gewesen war, war sie tagsüber geschwommen, doch als sie älter und faltiger wurde, hatte sie das Schwimmen auf die Nacht verlegt, was vielleicht gegen das Gesetz verstieß, aber angenehmer für die Augen war. Doch mittlerweile war sie nicht mehr fit genug dafür, und so ging sie spazieren, anstatt zu schwimmen – und das am Tag wie in der Nacht.
Obwohl Mildred recht zufrieden mit ihrem Los war, brauchte sie dann und wann einen Tapetenwechsel. Sie machte Schaufensterbummel wie alle anderen Leute auch, und kurz vor Geschäftsschluss besorgte sie sich den einen oder anderen kleinen Snack von Geschäftsleuten, die sie kannte und die ihre Läden an der Washington Avenue hatten. Übriggebliebene Tacos und Sandwiches waren definitiv besser in Mildreds Magen aufgehoben als im Mülleimer, und dann und wann erledigte Mildred für diese braven Leute im Gegenzug kleinere Aufträge: Post zum Briefkasten bringen, Kleinigkeiten ausliefern oder Ähnliches. Es ging nichts über ein bisschen
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