Shining Girls (German Edition)
gelangweilte Wachmann immer mal wieder herauskommt, um eine Zigarette zu rauchen, wobei er jede Kippe sorgfältig in einem der gelben Klappdeckel-Abfalleimer an der Seite des Gebäudes entsorgt. Wie er den eingeschweißten Ausweis, den er an einem Band um den Hals trägt, durch einen Kartenleser zieht, um sich wieder in das Gebäude zu lassen.
Er könnte warten. Bis sie herauskommt. Sie zu Hause nehmen oder unterwegs. Er könnte ihr Auto aufbrechen. Den blauen Kleinwagen, der als Einziger noch links neben dem Eingang auf dem Parkplatz steht. Könnte sich hinter den Vordersitzen verstecken. Aber er ist unruhiger denn je, die Kopfschmerzen bohren sich durch seinen Schädel und sein Rückgrat hinunter. Es muss jetzt getan werden.
Um elf Uhr abends macht die Pizzeria zu, und er geht eine langsame Runde um das Gebäude, die er auf die Rauchpause des Wachmanns abgestimmt hat.
«Wissen Sie, wie viel Uhr es ist?», fragt er, während er schnell auf ihn zugeht, mit einer Hand schon sein Messer aufklappt, das Geräusch überdeckt vom Rascheln seines Jacketts. Der Wachmann ist von Harpers schnellem Gang alarmiert, aber die Frage ist so harmlos, so gewöhnlich, dass er unwillkürlich auf seine Armbanduhr sieht, und Harper rammt ihm die Klinge in den Hals und reißt sie quer über seine Kehle, durchtrennt Muskeln und Sehnen und Adern, und gleichzeitig dreht er den Mann um, sodass sich der Blutschwall über die Abfalleimer ergießt und nicht über ihn. Er tritt den Mann von hinten in die Kniekehlen, sodass er zwischen die Abfalleimer kippt, die Harper dann etwas nach vorne zieht, damit die Leiche nicht zufällig entdeckt wird. Er schnappt sich den Ausweis und wischt das Blut an der Hose des Mannes ab. Die ganze Aktion nimmt weniger als eine Minute in Anspruch. Der Wachmann gurgelt noch leise, als Harper schon zu den Glastüren geht, um die Karte durch den Kartenleser zu ziehen.
Er nimmt die Treppe, geht durch das verlassene Gebäude bis in den vierten Stock, lässt sich von seinem Gefühl leiten, wie von einer Erinnerung, vorbei an einer Reihe geschlossener Türen, bis er zu Labor 6 kommt, dessen Tür offen steht, das ihn schon erwartet. In dem Labor brennt nur eine einzige Lampe. Über ihrem Arbeitstisch. Sie steht mit dem Rücken zu ihm, singt laut und falsch vor sich hin, macht kleine Tanzbewegungen zu der blechernen Musik, die aus dem Kopfhörer kommt, der halb von ihrem Kopftuch verdeckt wird. «All That She Wants». Sie pulverisiert Blätter und praktiziert dann vorsichtig ein wenig von dem Pulver mit einer Art Plastikspritze in konisch geformte Röhrchen, die mit einer goldfarbenen Flüssigkeit gefüllt sind.
Es ist das erste Mal, dass er das Umfeld nicht versteht. «Was tust du da?», sagt er laut genug, dass sie es über die Musik hinweg hören kann. Sie macht vor Schreck einen Satz und nimmt den Kopfhörer ab.
«Oh Gott. Wie peinlich. Wie lange beobachten Sie mich schon? Oh Mann. Ich dachte, außer mir ist niemand mehr im Gebäude. Hm. Wer sind Sie?»
«Der neue Wachmann.»
«Oh. Sie tragen aber keine Uniform.»
«Sie hatten meine Größe nicht da.»
«Ach so», sagte sie und nickt vor sich hin. «Also, mh, ich arbeite an der Züchtung eines Stamms dürreresistenter Tabakpflanzen. Die Grundlage bildet eine Blume aus Namibia, die sich selbst wiederbeleben kann. Ich habe das Gen auf den Tabak übertragen und ihn einen Monat wachsen lassen, und jetzt überprüfe ich, ob sich das Protein, das ich suche, nachweisen lässt.» Sie trägt die konischen Röhrchen zu einer flachen grauen Maschine, die etwa so groß wie ein Koffer ist, und öffnet den Deckel, um das Tablett mit den Röhrchen hineinzustellen. «Jetzt stelle ich die Proben zur Analyse in den Spektralphotometer …» Sie tippt auf die Tasten, und das Gerät beginnt zu surren. «Und wenn sich das Protein erfolgreich exprimiert hat, wird sich das Substrat blau färben.» Sie lächelt ihn zufrieden an. «Habe ich das gut genug erklärt? Nächste Woche kommt nämlich eine Gruppe Oberstufenschüler her und … oh.» Sie hat das Messer gesehen. «Sie sind
kein
Wachmann.»
«Nein. Und du bist die Letzte. Ich muss es abschließen. Verstehst du das nicht?»
Sie versucht, von ihm wegzukommen, will einen Arbeitstisch zwischen sie bringen, sucht mit den Blicken nach Sachen, die sie auf ihn schleudern könnte, aber er hat ihr schon den Weg abgeschnitten. Er ist inzwischen sehr effizient. Er tut, was er tun muss. Er verpasst ihr einen Hieb ins Gesicht, sodass sie zu
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