Shining Girls (German Edition)
den Liegeplatz von 217 gezogen wurde, ist Zora schon wieder an Deck eines anderen LST , den Helm auf dem Kopf, den Funken sprühenden Schweißbrenner in der Hand, und in der Nähe kauert die zierliche Blanche Farringdon, die ihr folgsam neue Schweißstangen reicht, wenn Zora danach fragt.
Sie stellen das Schiff phasenweise fertig, mehrere spezialisierte Arbeitstrupps erledigen ihre Aufgabe, dann übernimmt der nächste Trupp das Schiff. Sie arbeitet lieber über Deck. Im Schiffsbauch bekommt sie immer Platzangst, wenn sie die Kantplatten verschweißt, zum Beispiel an der Sockelleiste eines Kabelkanals oder an den Ventilklappen, über die man die Ballasttanks flutet, um den flachkieligen Schiffen genügend Stabilität für die Ozeanüberquerung zu verleihen. Sie fühlt sich im Schiffsbauch, als würde sie unter dem Chitinpanzer eines gigantischen gefrorenen Metallinsekts kauern. Ein paar Monate zuvor hat sie ihre Über-Kopf-Schweißprüfung abgelegt. Das wird besser bezahlt, und sie kann im Freien arbeiten, und, noch wichtiger, sie kann die Geschütztürme zusammenschweißen, die diese Naziärsche zu Hackfleisch verarbeiten werden.
Es schneit, feine, pudrige Flocken, die sich auf ihre dicken Männeroveralls legen, wo sie schmelzen und kleine feuchte Stellen hinterlassen, die schließlich in den Stoff einziehen, genau wie sich die Funken des Schweißbrenners hineinsengen. Die Schweißmaske schützt ihr Gesicht, aber ihr Hals ist mit winzigen Verbrennungsnarben übersät. Wenigstens hält die Arbeit sie warm. Blanche zittert jämmerlich, obwohl die übrigen Schweißgeräte brennend um sie aufgestellt sind.
«Das ist gefährlich», faucht Zora. Sie ist wütend auf Leonore und Robert und Anita, die sich abgemeldet haben, um tanzen zu gehen, sodass nur noch Blanche und sie hier sind.
«Ist mir egal», sagt Blanche trübselig. Ihre Wangen sind rot vor Kälte. Die Atmosphäre zwischen ihnen ist immer noch gestört. Am Abend zuvor hat Blanche in dem Schuppen, in dem sie ihre Kleidung aufbewahren, versucht, sie zu küssen, hat sich auf die Zehenspitzen gestellt und ihren Mund auf den von Zora gepresst, als die gerade ihren Helm vom Kopf streifen wollte. Es war eigentlich kaum mehr gewesen als eine keusche Berührung ihrer Lippen, aber die Absicht war klar.
Zora respektiert Blanches Gefühle. Sie ist ein hübsches Mädchen, auch wenn sie spindeldürr und blass ist und ein fliehendes Kinn hat, und einmal hat ihr Haar Feuer gefangen, weil sie es aus Eitelkeit offen trug. Seitdem bindet sie es im Nacken zusammen, aber sie schminkt sich immer noch zur Arbeit und schwitzt das Make-up dann weg. Doch selbst wenn sie zwischen ihren Neun-Stunden-Schichten und ihren Kindern noch Zeit übrig hätte – Zora ist einfach nicht so gestrickt.
Trotzdem ist sie in Versuchung. Kein Wunder. Seit Harry zur Handelsmarine gegangen ist, hat sie niemanden mehr geküsst. Aber dass sie vom Schiffsbau Ringerarme bekommen hat, macht Zora nicht zur Lesbe, genauso wenig wie die landesweite Männerknappheit.
Blanche ist noch ein Kind. Knapp achtzehn. Und weiß. Sie hat keine Ahnung, was sie da tut, und davon abgesehen, wie sollte Zora Harry so was erklären? Sie redet jeden Morgen nach der Spätschicht auf dem langen Heimweg mit ihm, über die Kinder, über die aufreibende Plackerei beim Schiffsbau, die nicht nur eine sinnvolle Arbeit ist, sondern sie auch ablenkt, sodass sie ihn nicht so sehr vermisst. Allerdings ist «so sehr» kein annähernd passender Ausdruck für die quälende Leere, die sie mit sich herumschleppt.
Blanche huscht über das Deck, um das schwere Kabel für Zora zurückzuziehen. Sie lässt es ihr vor die Füße fallen und sagt schnell «Ich liebe dich» in ihr Ohr. Zora tut so, als hätte sie es nicht gehört. Der Helm ist dick genug, dass es so sein könnte. Sie kann diese Worte nicht ertragen.
In den nächsten fünf Stunden arbeiten sie schweigend, nur gelegentlich unterbrochen von einem «Gib mir das» oder «Kannst du mir das holen?». Blanche hält die Ankerplatte, damit Zora den Ring aufschweißt, und schlägt dann mit dem Hammer die Schweißschlacke ab. Ihre Schläge sind ungeschickt an diesem Tag, nicht im Takt.
Endlich ertönt die Pfeife zum Ende der Schicht und entlässt sie aus ihrer beiderseitigen Qual. Blanche klettert hastig die Leiter hinunter, und Zora kommt nach, langsamer mit ihrem Helm und den Männerarbeitsstiefeln, die sie mit Zeitung ausgestopft hat, um sie für ihre Größe 39 passend zu machen, nachdem
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