Shining Girls (German Edition)
da stürzt sich Alice einfach auf sie, zerkratzt ihr das Gesicht, reißt an ihren perfekten Locken. Vivian geht so schwer zu Boden, dass man es bis auf die Bühne hört und Joey lauter sprechen muss. «… Wer hätte gedacht, dass dieser intimste, zärtlichste Moment zwischen Mann und Frau in der Hochzeitsnacht eine solch ungehörige, unersättliche Gier entfesseln würde, die unerkannt in ihr geschlummert hat?»
Luella und Micky trennen sie. Vivian kommt auf die Füße und lächelt, während sie die Kratzer auf ihrer Wange betastet. «Ist das alles, was du zu bieten hast, Alice? Hat dir niemand beigebracht, wie eine Lady kämpft?» Und während Luella und Micky die schlaffe und schluchzende Alice festhalten, schlägt ihr Vivian den Handrücken und damit ihre spitzen Ringe ins Gesicht.
«Mein Gott, Viv!», zischt Micky. Aber Vivian nimmt schon ihre Position ein. Genau rechtzeitig, während Eva auf der Bühne ihr Nachthemd fallen lässt und die Scheinwerfer ausgehen, sodass die Bauerntrampel nur einen winzigen Augenblick gaffen können, der aber ausreicht, um bei den Gutwilligen schockiertes und empörtes Keuchen auszulösen und Pfiffe und Jubel auf den billigen Plätzen. Vivian rauscht hinaus, während Eva nackt und grinsend abgeht. «Au Backe, man könnte wirklich denken, die haben noch nie eine nackte Lady gesehen … Oh Herrjemine, Alice, alles in Ordnung mit dir?»
Luella und Eva bringen sie zurück in die Garderobe, um ihr das Blut abzuwischen und sie mit einer Salbe aus Luellas Sammlung zu behandeln. Mit all ihren Lotionen und Ölen ist sie eine wandernde Apotheke. Aber Alice weiß, dass es schlimm ist, weil keine von beiden etwas dazu sagt.
Aber das Schlimmste kommt erst noch.
Direkt nach der Vorstellung ruft Joey sie in den Wohnwagen, er hat sein ernstes Gesicht aufgesetzt, nichts mit Augenbrauenwackeln dieses Mal. «Zieh dich aus», sagt er so eiskalt, wie sie ihn noch nie erlebt hat. Sie trägt noch ihr Gefallene-Frau-Kostüm, die roten Stöckelschuhe und das aufreizende Kleid.
«Ich dachte, so eine Art Show sind wir nicht», protestiert Alice mit einem halben Lachen, mit dem sie nicht einmal sich selbst täuschen kann.
«Sofort, Alice.»
«Das kann ich nicht.»
«Und du weißt, warum.»
«Bitte, Joey.»
«Denkst du, ich weiß es nicht? Warum du dich immer allein in der Toilette umziehst? Warum du Gummibänder überallhin mitschleppst?»
Alice schüttelt bloß schwach den Kopf.
«Lass mich mal sehen», sagt er ein bisschen freundlicher.
Zitternd schält sich Alice aus dem Kleid, lässt es zu Boden gleiten, enthüllt ihre flache Brust und die ausgeklügelte Bandage aus Isolierband und Gummistreifen um ihre Genitalien. Joey zieht die Augenbrauen zusammen.
Dagegen hat sie ihr Leben lang gekämpft. Gegen Lucas Ziegenfeus, der in ihr wohnt. Oder sie lebt in ihm, und sie verabscheut seine Körperlichkeit, dieses widerwärtige, hassenswerte Ding, das zwischen ihren Beinen herunterbaumelt, und das sie festbindet, aber nicht den Mut hat abzuschneiden.
«Tja, okay.» Er bedeutet ihr, sich wieder anzuziehen. «Du bist hier verschwendet, weißt du? Du solltest nach Chicago gehen. Da gibt es sogar spezielle Shows in Bronzeville. Oder geh zum Karneval. Da machen ein paar immer noch auf Er-Sie-Es. Oder tritt als Dame mit dem Schnurrbart auf. Wächst bei dir ein Bart?»
«Ich bin keine Missgeburt.»
«Aber du lebst in dieser Welt, Prinzessin.»
«Lassen Sie mich bleiben. Sie haben es nicht gewusst. Niemand muss es herausfinden. Ich schaffe das, ich weiß, dass ich es kann, Joey. Bitte.»
«Was glaubst du, wird passieren, wenn dich jemand sieht? Oder wenn Vivian alles ausplaudert? Du hast sie genügend aufgestachelt, dass sie so etwas tun könnte, weißt du.»
«Dann verschwinden wir in die nächste Stadt. So, wie wir es gemacht haben, als Micky in Burton die Tochter dieses Verwaltungsbeamten flachgelegt hat.»
«Das hier ist was anderes, Prinzessin. Die Leute wollen nur bis zu einem gewissen Punkt hinters Licht geführt werden. Wir würden aus der Stadt gejagt. Womöglich gelyncht. Es braucht dich nur ein Einziger von diesen Hinterwäldlern zu sehen, wenn du diese Bandage anlegst, nur ein Kunde die Hand unter deinem Kleid zu haben, bevor Bobby einschreiten und deine Tugend schützen kann.»
«Dann trete ich nicht auf. Ich kann Bonbons verkaufen. Ich könnte putzen, kochen, den Mädchen beim Kostümwechsel oder beim Schminken helfen.»
«Tut mir leid, Alice. Wir sind eine
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