Shining
nicht einmal Staub abgesetzt. Die Bierhähne und die darunterliegenden Abflußbleche waren trocken. Links und rechts ragten die hohen Rücklehnen der samtgepolsterten Nischen auf, eigens dazu konstruiert, den in ihnen sitzenden Paaren eine möglichst intime Atmosphäre zu schaffen. Am anderen Ende des mit einem roten Teppich ausgelegten Raumes standen vierzig Barhocker um eine hufeisenförmige Theke herum. Die Hocker waren lederbezogen, und jeder trug ein Brandzeichen wie bei Rindern – ein H in einem Kreis, ein B zwischen zwei Strichen, ein W und ein B.
Er ging hinüber und schüttelte dabei verwirrt den Kopf. Es war wie neulich auf dem Spielplatz … aber es hatte keinen Sinn, darüber nachzudenken. Dennoch hätte er schwören können, die Flaschen gesehen zu haben, vage zwar, wie man bei zugezogenen Vorhängen die Möbel im Zimmer wahrnimmt, aber er hatte einen schwachen Schimmer von Glas gesehen. Nun blieb nur der Biergeruch, und Jack wusste, dass sich dieser Geruch nach einiger Zeit im Holzwerk jeder Bar der Welt festsetzte und sich von keinem Reinigungsmittel entfernen lässt. Und doch, dieser Geruch war penetrant … fast frisch.
Er setzte sich auf einen der Hocker und stützte seine Ellbogen auf die Lederkante der Theke. Links stand eine Schale für Erdnüsse – jetzt natürlich leer. Seit neunzehn Monaten saß er zum ersten Mal wieder in einer Bar, und das verdammte Ding war trocken – zu seinem Glück. Trotzdem durchströmte ihn eine gewaltige Welle bitterer Nostalgie, und das physische Verlangen nach einem Drink schien aus dem Magen durch die Kehle in den Mund zu steigen, wo jede Faser nach etwas Feuchtem und Langem und Kaltem lechzte.
Voll wilder und unsinniger Hoffnung schaute er noch einmal zu den Regalen hinüber, aber die Regale waren so leer wie zuvor. Er grinste vor Schmerz und Enttäuschung. Langsam ballte er die Fäuste und verursachte dabei winzige Kratzer an der Lederkante der Bar.
»Hallo, Lloyd«, sagte er. »Wenig los, heute Abend, was?« Lloyd stimmte zu und fragte ihn, was er trinken wolle.
»Ich bin wirklich froh, dass Sie mich das fragen«, sagte Jack, »wirklich froh. Denn ich habe zwei Zwanziger und zwei Zehner in der Brieftasche und hatte schon Angst, dass sie noch im April dort stecken. Es gibt hier keine einzige Kneipe, können Sie sich das vorstellen? Und ich dachte, es gäbe sogar auf dem Mond Kneipen.«
Lloyd hatte Verständnis.
»Passen Sie auf«, sagte Jack. »Sie stellen mir zwanzig Martini hin.
Genau zwanzig. Einen für jeden Monat, seit ich trocken bin, und dann noch einen extra. Das können Sie doch machen, nicht wahr? Oder haben Sie zuviel zu tun?«
Das verneinte Lloyd.
»Gut, alter Junge. Dann stellen sie die Martinis alle in einer Reihe an die Bar, und ich nehme einen nach dem andern. Des weißen Mannes Bürde, Lloyd, alter Junge.«
Lloyd machte sich an die Arbeit. Jack griff in die Tasche, aber statt seiner Brieftasche hatte er die Exedrinflasche in der Hand. Seine Brieftasche lag im Schlafzimmer auf dem Schreibtisch, und seine geizige Frau hatte ihn aus dem Schlafzimmer ausgesperrt. Schöner Zustand, Wendy. Du verfluchtes Miststück.
»Ich bin gerade ein bisschen knapp«, sagte Jack. »Wie steht’s mit meinem Kredit in diesem Laden?«
Das sei kein Problem, meinte Lloyd.
»Das ist super! Ich mag Sie, Lloyd. Sie waren schon immer der Beste. Der beste Barkeeper zwischen Barre und Portland, Maine. Oder meinetwegen auch Portland, Oregon.«
Lloyd bedankte sich für das Kompliment.
Jack löste den Verschluss der Exedrinflasche, schüttelte zwei Tabletten heraus und schnippte sie sich in den Mund. Sofort erfuhr er wieder den vertrauten bitteren Geschmack.
Er hatte plötzlich das Gefühl, dass die Leute ihn neugierig und ein wenig verächtlich beobachteten. Die Nischen hinter ihm waren besetzt – grauhaarige bessere Herren und hübsche junge Mädchen, alle kostümiert, beobachteten seine traurige Übung in den dramatischen Künsten mit kalter Belustigung.
Jack fuhr auf seinem Hocker herum.
Alle Nischen waren leer. Sie erstreckten sich von der Tür aus nach beiden Seiten, und zu seiner Linken machten sie einen Bogen um die hufeisenförmige Bar herum. Die Sitze und Lehnen waren ledergepolstert, und in jeder stand ein glänzender schwarzer Formica-Tisch, darauf ein Aschenbecher mit einem Streichholzheftchen. Jede Nische war mit dem eingestanzten Wort Colorado Lounge markiert.
Er drehte sich wieder um und verzog das Gesicht, als er die schon aufgelösten
Weitere Kostenlose Bücher