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Shining

Shining

Titel: Shining Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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und spüren, wie sie die Nase krauszog, um in seinem Atem einen Hauch von Scotch oder Gin zu wittern. Sie würde immer das Schlimmste vermuten. Wenn er und Danny im Auto mit einem blinden und besoffenen Fahrer zusammenstoßen würden, der kurz vor der Kollision einen Schlaganfall erlitten hatte, würde sie im stillen Jack die Schuld an Dannys Verletzungen geben und sich von ihm abwenden.
    Ihr Gesicht, als sie Danny von ihm weggerissen hatte – er musste immer wieder an den Anblick denken, und plötzlich hatte er Lust, den Zorn, den er in ihrem Gesicht gesehen hatte, mit der Faust wegzuwischen.
    Verdammt noch mal, sie hatte kein Recht dazu!
    Ja, vielleicht am Anfang. Er war ein Säufer gewesen, er hatte schreckliche Dinge getan. Danny den Arm zu brechen, war wirklich schlimm gewesen. Wenn ein Mann sich aber ändert, verdient er es dann nicht, dass seine Anstrengungen früher oder später anerkannt werden? Und wenn man ihm diese Anerkennung verweigert, verdient er dann noch Vorwürfe? Wenn ein Vater seine jungfräuliche Tochter ständig beschuldigt, mit allen Jungen der Schule zu bumsen, darf er sich nicht wundern, wenn sie es endlich leid ist und beschließt, ihrem Ruf gerecht zu werden. Und wenn eine Frau insgeheim – oder ganz offen – glaubt, dass ihr völlig abstinenter Mann ein Säufer ist …
    Er stand auf und ging langsam zur Treppe, wo er kurz stehen blieb. Er zog das Taschentuch hervor und wischte sich damit die Lippen. Er überlegte, ob er hinuntergehen sollte. Er konnte an die Schlafzimmertür trommeln und verlangen, eingelassen zu werden, um sich seinen Sohn anzusehen. Sie hatte nicht das Recht, so verdammt anmaßend zu sein. Nun, irgendwann musste sie herauskommen, wenn sie sich und Danny nicht eine radikale Diät verordnet hatte. Bei diesem Gedanken verzog sich sein Mund zu einem hässlichen Grinsen. Sollte sie doch zu ihm kommen. Er konnte warten.
    Er ging ins Erdgeschoß hinunter und blieb unschlüssig in der Rezeption am Schreibtisch stehen. Dann wandte er sich nach rechts. Er ging in den Speisesaal und blieb an der Tür stehen. Die leeren Tische mit den sauberen weißen Decken unter den durchsichtigen Folien glänzten ihn an. Der Saal lag jetzt verlassen da, aber
     
    (Dinner um 20.00 Uhr
    Demaskierung und Tanz um Mitternacht)
     
    Jack ging zwischen den Tischen auf und ab und vergaß für kurze Zeit seine Frau und seinen Sohn, vergaß den Traum, das zertrümmerte Radio und die blutunterlaufenen Stellen an Dannys Hals. Er ließ die Finger über die glatte Plastikfolie gleiten und versuchte sich vorzustellen, wie es an jenem Augustabend im Jahre 1945 gewesen sein mochte, als der Krieg gewonnen war und die Menschen die Zukunft so schön wie ein Traumland vor sich liegen sahen. Die hellen und bunten japanischen Lampions säumten die ganze Auffahrt, und goldenes Licht ergoss sich aus den hohen Fenstern, die jetzt zugeschneit waren. Kostümierte Männer und Frauen, hier eine Prinzessin in ihrem Flitter, dort ein Kavalier in Stulpenstiefeln, überall funkensprühendes Geschmeide und funkensprühender Witz, Tanzen, reichlich fließender Alkohol, zuerst Wein, dann Cocktails, immer angeregtere Gespräche, und dann von dem Podium mit der Band der Schrei: »Die Masken ab! Demaskierung!«
    (Und der Rote Tod hatte sie alle in seiner Gewalt …)
    Dann stand er plötzlich an der anderen Seite des Speisesaals vor den Türen zur Colorado Lounge, in der an jenem Abend im Jahre 1945 wohl alle Getränke frei waren.
    (An die Bar, Partner, Getränke auf Kosten des Hauses.)
    Er ging durch die Tür in die tiefen Schatten der Bar hinein. Und etwas Seltsames geschah. Er war schon einmal hier gewesen, um die Inventarliste, die Ullman ihm gegeben hatte, zu vergleichen, und er wusste, dass die Bar völlig ausgeräumt war. Die Regale waren leer gewesen. Aber jetzt, beim schwachen Licht, das aus dem Speisesaal hereinfiel (der selbst wegen der Schneewehen vor den Fenstern ziemlich dunkel war), glaubte er ganze Reihen von Flaschen zu erkennen, die ganz schwach schimmerten. Selbst die drei auf Hochglanz polierten Bierhähne tropften. Ja, er konnte das Bier sogar riechen, dieses feuchte, gärige und hefige Aroma, das schon seinem Vater, wenn er abends nach Hause kam, immer angehaftet hatte.
    Mit weit aufgerissenen Augen suchte er den Wandschalter, und die gedämpfte und intime Barbeleuchtung ging an, Kreise von Zwanzig-Watt-Birnen auf den drei Wagenrädern, die von der Decke hingen. Alle Regale waren leer. Auf ihnen hatte sich noch

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