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Shining

Shining

Titel: Shining Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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keine von beiden bedingt die Anwesenheit einer vierten Person im Hotel.«
    »Und die wären?« Sie stützte sich auf einen Ellbogen.
    »Vielleicht Stigmata«, sagte er.
    »Stigmata? Ist das nicht, wenn Leute am Karfreitag bluten oder so was Ähnliches?«
    »Ja. Bei Leuten, die tief an die Göttlichkeit Christi glauben, zeigen sich während der Karwoche manchmal dessen Wundmale an Händen und Füßen. Das kam im Mittelalter häufiger vor als heute. Damals glaubte man, diese Leute seien von Gott gesegnet. Ich glaube nicht, dass die katholische Kirche solche Vorkommnisse als Wunder bezeichnet hat, und das war klug. Stigmata unterscheiden sich gar nicht so sehr von gewissen Fertigkeiten der Yogi. Heute weiß man mehr davon als damals. Die Leute, die sich mit den Wechselwirkungen zwischen Körper und Geist befassen – so recht versteht man sie auch heute noch nicht – sind der Ansicht, dass wir mehr Kontrolle über unsere unwillkürlichen Funktionen haben, als man früher glaubte. Wenn man sich genügend darauf konzentriert, kann man zum Beispiel seinen Herzschlag verlangsamen oder seinen Stoffwechsel beschleunigen. Verstärkt schwitzen oder Blutungen verursachen.«
    »Du glaubst also, Danny hat die Quetschungen an seinem Hals selbst ›herbeigedacht‹? Jack, das kann ich nicht glauben.«
    »Es kommt auch mir unwahrscheinlich vor, aber ich halte es für denkbar. Wahrscheinlicher ist, dass er sie sich selbst beigebracht hat.«
    »Sich selbst!«
    »Er ist doch schon früher in ›Trance‹ gefallen und hat sich dabei verletzt. Einmal beim Essen, erinnerst du dich nicht? Ich glaube, es war vor zwei Jahren. Wir waren stinksauer aufeinander. Niemand redete viel. Plötzlich rollte er mit den Augen und fiel mit dem Gesicht in sein Essen. Dann auf den Fußboden. Das müsstest du doch noch wissen.«
    »Ja«, sagte sie. »Das weiß ich noch gut. Ich dachte, er hätte Krämpfe.«
    »Ein anderes Mal waren wir im Park«, sagte er. »Nur Danny und ich. An einem Samstagnachmittag. Er saß auf der Schaukel und schwang hin und her. Plötzlich stürzte er von der Schaukel. Es war, als sei er erschossen worden. Ich rannte hin und hob ihn auf, und plötzlich kam er wieder zu sich. Er blinzelte mich an und sagte: ›Ich habe mir den Bauch wehgetan. Sag Mommy, dass sie die Fenster zumachen soll, wenn es regnet.‹ Und abends regnete es dann in Strömen.«
    »Ja, aber –«
    »Und dauernd schneidet er sich oder schlägt sich die Ellbogen auf. Seine Schienbeine sehen wie ein Schlachtfeld aus. Und fragt man ihn, wie dies oder jenes passiert ist, sagt er nur: ›Ach, ich habe gespielt‹, und mehr ist nicht aus ihm herauszubekommen.«
    »Jack, alle Kinder holen sich Schrammen. Bei kleinen Jungen geht es schon los, wenn sie noch kaum laufen können, und es wird erst besser, wenn sie zwölf oder dreizehn sind.«
    »Danny bekommt ganz bestimmt seinen Anteil«, erwiderte Jack. »Er ist ein lebhafter Junge. Aber ich denke an den Park und an den Vorfall beim Essen. Und ich überlege mir, ob seine Schrammen nicht oft davon herrühren, dass er einfach umkippt. Verdammt, das ist ihm doch sogar in Dr. Edmonds Büro passiert!«
    »Gut. Aber diese Quetschungen stammen von Fingern. Darauf könnte ich schwören. Die kommen nicht von einem Sturz.«
    »Er fällt in Trance«, sagte Jack. »Vielleicht sieht er etwas, das einmal in diesem Raum geschehen ist. Ein Streit. Vielleicht ein Selbstmord. Heftige Emotionen. Es ist nicht, als ob er einen Film sieht. Er ist in einem stark beeinflussbaren Zustand. Und er steckt mitten drin. Sein Unbewußtes nimmt, was immer geschehen sein mag, symbolisch auf … wie etwa eine tote Frau, die wieder lebt, ein Ungeheuer, eine Untote, ein Geist, nenn es, wie du willst.«
    »Du machst mir eine Gänsehaut«, sagte sie mit belegter Stimme.
    »Ich mache mir selbst gelegentlich eine. Ich bin kein Psychiater, aber es scheint so gut zu passen. Die wandelnde tote Frau als Symbol für tote Emotionen, totes Leben, das einfach nicht weichen will … aber weil sie eine Figur des Unbewußten ist, ist sie gleichzeitig er. Im Zustand der Trance gibt es keinen bewussten Danny. Die Figur des Unbewußten zieht die Fäden. Also legt sich Danny die Hände um den Hals und –«
    »Hör auf«, sagte sie. »Ich verstehe das Bild schon. Das ist ja noch viel erschreckender als die Vorstellung, dass ein Fremder hier herumkriecht. Vor einem Fremden kann man weglaufen. Vor sich selbst nicht. Du redest von Schizophrenie.«
    »Nur sehr begrenzt«, sagte er,

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