Shining
… und völlig witzlos.
Fast schaffte er es.
Er hatte die Limousine auf achtzig hochgejagt, und der Flughafen war schon in Sicht, als einer der feinsten Männer Floridas ihn stoppte. Er ließ das Fenster hinabgleiten und öffnete schon den Mund, während der Beamte in seinem Buch blätterte.
»Ich weiß«, sagte er tröstend. »Es ist eine Beerdigung in Cleveland. Ihr Vater. Eine Hochzeit in Seattle. Ihre Schwester. Ein Feuer in San Jose, bei dem der Bonbonladen Ihres Opas abgebrannt ist. Oder in New York City wartet ein Kommunist aus Kambodscha in einem Schließfach. Ich liebe diese Strecke vor dem Flughafen. Schon als Kind mochte ich in der Schule am liebsten die Märchenstunde.«
»Hören Sie, Officer, mein Sohn ist –«
»Den einzigen Teil der Geschichte, den ich erst am Schluss kenne«, sagte der Beamte und fand in seinem Buch die richtige Seite, »sind die Nummer Ihres Führerscheins und Ihre persönlichen Daten. Seien Sie also nett und lassen Sie mich nachsehen.«
Hallorann sah dem Mann in die blauen Augen und überlegte, ob er nicht trotzdem die Geschichte von seinem angeschossenen Sohn erzählen sollte. Aber das würde alles nur schlimmer machen. Der Bulle war nicht Queems. Er zog die Brieftasche.
»Wunderbar«, sagte der Beamte. »Geben Sie mir bitte die Papiere. Ich will nur sehen, wie die Geschichte ausgeht.«
Hallorann nahm Führerschein und Fahrzeugpapiere heraus und reichte sie dem Verkehrspolizisten.
»Das ist sehr gut. Es ist so gut, dass Sie einen Preis gewinnen.«
»Was?« fragte Hallorann voll Hoffnung.
»Wenn ich die Nummern notiert habe, dürfen sie für mich einen kleinen Ballon aufblasen.«
»Mein Gott«, stöhnte Hallorann. »Officer, mein Flug –«
»Pssst«, sagte der Beamte. »Schön artig sein.« Hallorann schloss die Augen.
*
Er erreichte den Schalter der United um achtzehn Uhr neunundvierzig und hoffte verzweifelt, dass die Maschine Verspätung haben möge. Er brauchte nicht zu fragen. Ein Blick auf die Anzeige genügte. Flug 901 nach Denver, flugplanmäßiger Start um achtzehn Uhr sechsunddreißig, war um achtzehn Uhr vierzig gestartet. Vor neun Minuten.
»Scheiße«, sagte Hallorann.
Und plötzlich der Orangengeruch, schwer und erstickend. Er hatte gerade noch Zeit, in der Toilette zu verschwinden, als es betäubend und voller Entsetzen über ihn hereinbrach:
(!!!KOMM, BITTEKOMM, DICK, BITTE, BITTE, KOMM!!!)
39
AUF DER TREPPE
Zu den Dingen, die sie verkauft hatten, um vor dem Umzug von Vermont nach Colorado ihren Barbestand ein wenig aufzufrischen, gehörte auch Jacks Sammlung von zweihundert alten Rock-and-Roll- Alben. Sie hatten einen Dollar das Stück bekommen. Eines von diesen Alben war ein Doppelalbum von Eddie Cochrane mit vier Seiten eingebundener Begleitnotizen von Lenny Kay gewesen, und diese Platten mochte Danny besonders gern. Wendy war oft über die Faszination erstaunt gewesen, die diese Musik eines Jungen, der wild gelebt hatte und jung gestorben war, auf Danny ausübte. Als der Sänger starb, war sie selbst erst zehn gewesen.
Jetzt um viertel nach sieben Ortszeit, während Hallorann in Queems’ Office stand und von dem weißen Freund seiner Exfrau erzählte, fand Wendy ihren Sohn auf der Treppe zum ersten Stock. Er warf einen roten Gummiball von einer Hand in die andere und sang eines der Lieder aus dem Album. Seine Stimme war leise und tonlos.
»So I climb one-two flight three flight four«, sang Danny. »Five flight six flight seven flight more … when I get to the top, I´m too tired to rock …«
Sie stieg die Treppe hinauf, und als sie sich neben ihn setzte, sah sie, dass seine Unterlippe zu doppelter Größe geschwollen war und dass er getrocknetes Blut am Kinn hatte. Ihr Herz schlug schneller vor Angst, aber sie zwang sich, normal zu sprechen.
»Was ist passiert, Doc?« fragte sie, obwohl sie sicher war, es schon zu wissen. Jack hatte ihn geschlagen. Natürlich. Das musste ja so kommen. Die Räder des Fortschritts; früher oder später war man wieder da, wo man angefangen hatte.
»Ich habe Tony gerufen«, sagte Danny. »Im Festsaal. Ich glaube, ich bin vom Stuhl gefallen. Aber es tut nicht mehr weh. Es fühlt sich nur an … als ob meine Lippe zu groß wäre.«
»War es wirklich so?« fragte sie und sah ihn besorgt an.
»Daddy hat es nicht getan«, antwortete er. »Heute nicht.«
Sie starrte ihn an, und ihr wurde ganz unheimlich. Der Ball hüpfte von einer Hand in die andere. Er hatte ihre Gedanken gelesen. Ihr Sohn
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