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Shining

Shining

Titel: Shining Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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blutunterlaufenen Augen. Er steckte es in die Tasche zurück und sprach jetzt noch leiser. »Das hat mir Jana geschickt. Es steckte in meinem Briefkasten, als ich eben zurückkam.«
    »Mein Gott«, sagte Queems. Er sah besorgt aus. Hallorann kannte diesen Gesichtsausdruck. So ungefähr drückte ein weißer Mann sein Mitgefühl aus, wenn es um einen Schwarzen ging oder um dessen geheimnisvollen schwarzen Sohn.
    »Ja, okay, Sie kriegen frei«, sagte Queems. »In den drei Tagen macht Baedecker das. Der Kellner kann ihm helfen.«
    Hallorann nickte, und sein Gesicht wurde noch länger, aber bei dem Gedanken, dass der Kellner Baedecker helfen sollte, musste er innerlich lachen. Hallorann bezweifelte, ob der Kellner, selbst wenn er einen guten Tag hatte, beim ersten Anlauf das Pinkelbecken treffen würde.
    »Ich möchte das Geld für diese Woche gern gleich haben«, sagte Hallorann. »Das Ganze tut mir sehr leid. Ich weiß, in welche Schwierigkeiten ich Sie bringe, Mr. Queems.«
    Queems verzog das Gesicht. Er sah aus, als wäre ihm eine Gräte im Hals stecken geblieben. »Darüber können wir später reden. Sie können schon Ihre Sachen packen. Soll ich Ihnen einen Flug reservieren?«
    »No, Sir, das mache ich selbst.«
    »Gut.« Queems stand auf und lehnte sich über den Tisch. Dabei stieg ihm der Rauch seiner Kent in die Nase. Er hustete, und sein dünnes, blasses Gesicht wurde rot. Es fiel Hallo rann schwer, ernst zu bleiben.
    »Hoffentlich ist alles nicht ganz so schlimm. Dick. Rufen Sie mich an, wenn Sie Näheres wissen.«
    »Mach’ ich.«
    Sie gaben sich über den Schreibtisch hinweg die Hand.
    Hallorann ging hinunter ins Erdgeschoß und brach in lautes Gelächter aus. Er grinste immer noch und wischte sich mit dem Taschentuch die tränenden Augen, als er einen durchdringenden Orangengeruch wahrnahm. Und dann kam es wie ein Donnerschlag, dass er gegen die rosa Stuckwand taumelte.
    (!!!BITTE, KOMM, DICK. BITTE, KOMM, KOMM.SCHNELL!!!)
    Nur langsam erholte er sich und ging dann endlich die Außentreppe zu seiner Wohnung hoch. Als er sich bückte, um den Wohnungsschlüssel unter der Matte hervorzuholen, fiel ihm etwas aus der Innentasche. Er dachte noch immer so intensiv an die Stimme, die ihn eben erreicht hatte, dass er nicht einmal wusste, um was es sich bei dem blauen Umschlag handelte. Er drehte ihn um und las das Wort Testament.
    (Mein Gott, ist es schon so weit?)
    Er wusste es nicht. Es könnte sein. Die ganze Woche schon hatte ihm sein Ende vor Augen gestanden wie eine … nun, wie eine
    (Los doch, sag’s schon)
    wie eine Vorahnung.
    Der Tod? Einen Augenblick schien sein ganzes Leben an ihm vorbeizuziehen, nicht im historischen Sinne, keine Topographie der Höhen und Tiefen, die Mrs. Halloranns dritter Sohn Dick erlebt hatte, sondern sein Leben, wie es jetzt war. Martin Luther King hatte ihnen, kurz bevor eine Kugel ihm ein Märtyrergrab bereitete, gesagt, dass er auf dem Berggipfel gewesen sei. Das konnte Dick von sich nicht behaupten. Nein, kein Berggipfel, aber er hatte nach Jahren der Anstrengung ein sonniges Plateau erreicht. Er hatte gute Freunde. Er hatte jede Referenz, die er brauchte, um überall einen guten Job zu finden. Wenn er nur wollte, verdammt, könnte er sogar einen bequemen Job bekommen, bei dem es keine Probleme gab. Mit seiner schwarzen Hautfarbe hatte er sich abgefunden – gut sogar. Er war über sechzig und konnte es ruhig angehen lassen.
    Sollte er das Ende all dessen riskieren – sein eigenes Ende – wegen drei Weißen, die er nicht einmal kannte?
    Aber war das nicht eine Lüge?
    Er kannte den Jungen. Mit ihm hatte er mehr gemeinsam als mit guten Freunden, die man vierzig Jahre lang kennt. Er kannte den Jungen, und der Junge kannte ihn, denn sie hatten beide eine Art Scheinwerfer im Kopf, etwas, um das sie nicht gebeten hatten, was ihnen einfach zuteilgeworden war.
    (Nein, du selbst hast nur ein Blitzlicht. Der Junge hat den Scheinwerfer.) Und manchmal war diese Hellsichtigkeit ganz angenehm. Man wusste, welches Pferd gewinnen würde oder wo Daddys Koffer war, wie es der Junge erzählt hatte. Aber das war nur die Soße zum Salat, und darunter steckte neben wohlschmeckenden Gurken auch bitteres Gemüse. Man konnte Schmerz und Tod und Tränen schmecken. Und jetzt hatte der Junge da oben Schwierigkeiten, und er würde hingehen. Des Jungen wegen. Er verstand sich mit dem Jungen. Besonders, wenn sie nicht miteinander sprachen. Er würde also gehen. Wenn er es nicht täte, könnte der Junge

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