Shining
vielleicht den Verstand verlieren.
Aber er war auch nur ein Mensch und hätte sich sehr gefreut, wenn dieser Kelch an ihm vorübergegangen wäre.
*
(Sie war aufgestanden und hatte ihn verfolgt.)
Er hatte gerade ein paar Garnituren Wäsche in seine Reisetasche gepackt, als ihm der Gedanke kam und die Erinnerung ihn, wie immer, erschauern ließ. Er dachte möglichst selten daran.
Das Stubenmädchen, sie hieß Delores Vickery, war hysterisch gewesen. Sie hatte zu den anderen Mädchen darüber geredet und, was schlimmer war, auch zu einigen Gästen. Als Ullman das erfuhr, und das hätte die dumme Kuh sich sagen können, hatte er sie sofort gefeuert. Weinend war sie zu Hallorann gekommen, nicht weil man sie gefeuert hatte, sondern wegen der Dinge, die sie gesehen hatte. Sie sei in das Zimmer 217 gegangen, so erzählte sie, um die Handtücher zu wechseln, und da hatte Mrs. Massey tot in der Badewanne gelegen. Das war natürlich unmöglich. Mrs. Massey war am Tag zuvor diskret fortgeschafft worden und befand sich inzwischen auf dem Flug nach New York – im Laderaum statt in der ersten Klasse, wie sie es gewohnt war.
Hallorann hatte Delores nicht sonderlich gemocht, aber er war noch am selben Abend hinaufgegangen, um nachzuschauen. Sie war ein dunkelhäutiges Mädchen von dreiundzwanzig Jahren, die gegen Saisonende, wenn nicht mehr so viel Betrieb war, auch im Speisesaal servierte. Hallorann hielt sie für hellsichtig, wenn auch nur sehr geringfügig. So lotste sie Gäste, bei denen sie ein vernünftiges Trinkgeld voraussah, gern an ihre Tische. Sie war sonst faul und alles andere als gescheit, und das bei Ullman, der Faulheit bei seinen Angestellten hasste. So saß sie gern im Wäschemagazin, las eine Illustrierte und rauchte. Aber immer, wenn Ullman einen seiner überraschenden Kontrollgänge machte (und wehe dem Mädchen, das sich dann gerade ausruhte), fand er sie fleißig bei der Arbeit; die Zeitschrift lag dann auf einem hohen Regal unter der Wäsche, und den Aschenbecher hatte sie sicher in ihrer Uniformtasche versteckt. Ja, dachte Hallorann, sie war wirklich eine dumme Schlampe gewesen, aber sie besaß eben das kleine bisschen Hellsichtigkeit, und das hatte ihr aus mancher Klemme geholfen. Was sie aber in Zimmer 217 gesehen hatte, war für sie so erschreckend gewesen, dass sie mehr als froh war, als Ullman ihr die Papiere gab.
Warum war sie zu ihm gekommen? Ein Hellsichtiger kennt den anderen, dachte Hallorann und grinste.
Er war also an jenem Abend zu dem Zimmer hinaufgegangen, das am nächsten Tag wieder belegt werden sollte. Er hatte den Hauptschlüssel aus dem Büro dazu benutzt, und wenn Ullman ihn mit dem Schlüssel erwischt hätte, wäre auch er gefeuert worden.
Der Duschvorhang war zugezogen gewesen. Er hatte ihn zur Seite geschoben, aber er hatte schon vorher geahnt, dass er Mrs. Massey aufgedunsen und purpurn in der halbvollen Wanne würde liegen sehen. Dann hatte er sie mit jagendem Puls angestarrt. Es hatte noch weitere Dinge im Overlook gegeben: ein böser Traum, den er in unregelmäßigen Abständen hatte – eine Art Kostümfest, zu dem er die Speisen bereitet hatte, und als im Festsaal die Aufforderung zur Demaskierung ertönte, kam hinter jeder Maske ein widerliches, totes Insektengesicht zum Vorschein. Und dann die Heckentiere. Zweimal, vielleicht auch dreimal hatte er gesehen, wie sie sich bewegten, oder es war ihm wenigstens so vorgekommen. Der Hund saß nicht mehr aufrecht, sondern hatte sich ein wenig geduckt, und die Löwen hatten sich vorwärts bewegt, als wollten sie die Kinder auf dem Spielplatz bedrohen. Voriges Jahr im Mai hatte Ullman ihn auf den Boden geschickt, um die Schürhaken zu suchen, die jetzt im Foyer neben dem Kamin standen. Als er dort oben herumsuchte, waren plötzlich die drei dort aufgehängten Glühbirnen ausgegangen, und er hatte nicht mehr zur Bodenluke zurückfinden können. Er wusste nicht mehr, wie lange er dort herumgestolpert war, sich die Beine an irgendwelchen Gegenständen aufgeschlagen hatte, von immer schlimmerer Panik erfüllt. Er hatte immer stärker das Gefühl gehabt, dass etwas ihn in der Dunkelheit verfolgte. Irgendeine große, unheimliche Gestalt, die einfach aus der Täfelung gekommen war, als die Lichter ausgingen. Und dann war er buchstäblich über den Ring an der Luke gestolpert, hatte die Luke offen gelassen und war verstaubt und aufgelöst nach unten gerannt, mit dem Gefühl, gerade noch einem Unheil entgangen zu sein. Später war Ullman
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