Shining
sie. »Nicht für alle Esquire -Geschichten der Welt.«
»Ich bin bald wieder da.«
Aber er war erst um vier Uhr morgens zu Hause gewesen, war lallend die Treppe heraufgestolpert und hatte, als er rein kam, Danny geweckt. Bei dem Versuch, das Baby zu beruhigen, hatte er das Kind fallen lassen. Wendy stürzte heraus. Was würde ihre Mutter wohl sagen, wenn sie an Danny eine Verletzung sah! Sie hob Danny auf und setzte sich mit ihm in den Schaukelstuhl und tröstete ihn. Während Jacks fünfstündiger Abwesenheit hatte sie fast nur an ihre Mutter gedacht und an deren Prophezeiung, dass aus Jack ja doch nie etwas werden würde. Große Ideen, hatte ihre Mutter gesagt. Oh, ja. Die Sozialämter können sich der gebildeten Narren mit großen Ideen gar nicht erwehren. Gab die Esquire-Geschichte ihrer Mutter jetzt etwa recht? Winnifred, du hältst das Kind nicht richtig. Gib mir den Jungen. Hielt sie ihren Mann denn auch nicht richtig? Warum sonst suchte er sein Vergnügen außer Haus? Eine Art hilfloser Bestürzung stieg in ihr auf, und es kam ihr überhaupt nicht in den Sinn, dass er aus Gründen ausgegangen sein könnte, die mit ihr gar nichts zu tun hatten.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte sie und wiegte Danny – er schlief schon fast. »Vielleicht hat er jetzt eine Gehirnerschütterung.«
»Harmlose kleine Schramme«, sagte er, und sein missmutiger Tonfall konnte nicht verbergen, dass er sein Verhalten bereute. Er benahm sich wie ein kleiner Junge. Einen Augenblick lang hasste sie ihn.
»Vielleicht«, sagte sie streng. »Vielleicht aber auch nicht.« Sie merkte, dass sie mit ihm sprach wie ihre Mutter früher zu ihrem Vater, und sie war angewidert und betroffen.
»Wie die Mutter so die Tochter«, murmelte Jack.
»Geh ins Bett!« schrie sie, und ihre Angst klang wie Wut. »Geh ins Bett, du bist betrunken!«
»Mach mir keine Vorschriften.«
»Jack … bitte, wir sollten nicht … es …« Sie hatte keine Worte mehr.
»Mach mir keine Vorschriften«, wiederholte er böse und ging ins Schlafzimmer. Sie blieb mit Danny, der schon wieder schlief, im Schaukelstuhl sitzen. Fünf Minuten später drang sein Schnarchen ins Wohnzimmer herüber. In dieser Nacht hatte sie zum ersten Mal auf der Couch geschlafen.
Sie wälzte sich jetzt unruhig im Bett, obwohl sie schon fast eingeschlafen war. Ungeordnet kamen ihr die Gedanken. Gedanken an das erste Jahr in Stovington, an die Zeit danach, als es mit Jack immer schlimmer wurde, an den Tag, an dem er Danny den Arm gebrochen hatte, und schließlich an jenes Gespräch eines Morgens am Frühstückstisch.
Danny spielte draußen am Sandhaufen mit seinen Autos, den Arm noch in Gips. Blass, fast grau saß Jack am Tisch, die Zigarette in der zitternden Hand. Sie hatte beschlossen, mit ihm über Scheidung zu reden. Sie hatte über das Problem lange und gründlich nachgedacht. Sie hatte sogar schon sechs Monate vor dem gebrochenen Arm an Scheidung gedacht. Wenn Danny nicht gewesen wäre, hätte sie sich noch früher dazu entschlossen. Oder vielleicht doch nicht? Wenn Jack nächtelang nicht zu Hause war, hatte sie im Traum immer wieder das Gesicht ihrer Mutter und ihre eigene Hochzeit gesehen.
(Der Brautvater möge vortreten. Ihr Vater hatte in seinem besten Anzug dagestanden, der so gut nicht war – er war Vertreter bei einer Konservenfabrik, die damals gerade pleite ging –, wie müde er wirkte, wie alt und blass er aussah. Er trat vor.)
Selbst nach dem Unfall – wenn man es einen Unfall nennen konnte – hatte sie sich nicht entschließen können, es ihm zu sagen, zuzugeben, dass ihre Ehe eine einzige Katastrophe war. Sie hatte gewartet und dumpf gehofft, dass ein Wunder geschehen würde, dass Jack einsah, was er sich und ihr antat. Aber es war nicht besser geworden. Er nahm einen Drink, bevor er in die Akademie fuhr. Zum Mittagessen dann ein paar Bier. Vor dem Abendessen dann drei oder vier Martini. Fünf oder sechs weitere, wenn er Arbeiten korrigierte. Die Wochenenden waren noch schlimmer. Das Schlimmste waren die Sauftouren mit Al Shockley. Sie hatte sich nie vorstellen können, dass es in einem Leben, in dem doch körperlich alles in Ordnung war, so viel Leid geben konnte. Sie war nur noch traurig. Wie viel daran war ihre Schuld? Diese quälende Frage stellte sie sich immer wieder. Sie versuchte, sich in ihre Mutter hineinzuversetzen. In ihren Vater. Im ersteren Fall fragte sie sich manchmal, wie es sich auf Danny auswirken würde, und ihr graute vor dem Tag, da er alt
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