Shining
Mit seiner langsam zerbrechenden Ehe. Mit dem einzelnen Rad auf der Straße, dessen abgerissene Speichen in die Luft geragt hatten. Mit Dannys gebrochenem Arm. Und natürlich mit George Hatfield.
Er hatte das Empfinden, ohne Absicht die Hand in das große Wespennest des Lebens gesteckt zu haben. Das war zwar als Bild ein wenig komisch, aber als Symbol der Wirklichkeit durchaus brauchbar. Er hatte im Hochsommer die Hand zwischen ein paar verrottete Dachstreben gesteckt, und nun brannte sie wie Feuer, und der Schmerz löschte jeden bewussten Gedanken aus und machte zivilisiertes Benehmen unmöglich. Konnte man sich noch wie ein denkender Mensch benehmen, wenn einem die Hand mit rotglühenden Nadeln zerstochen wurde? Konnte man mit seinen Lieben noch in Ruhe und Frieden leben, wenn aus einem Loch im Gefüge (das man für stabil gehalten hatte) plötzlich eine braune, wütende Wolke aufstieg und sich auf einen stürzte? Konnte man für sein Verhalten noch verantwortlich gemacht werden, wenn man zwanzig Meter über dem Boden wie verrückt auf einem schrägen Dach herumrannte und in seiner Panik nicht mehr daran dachte, dass man jeden Augenblick über die Dachrinne stolpern konnte, um dann unten auf dem Beton zerschmettert zu werden? Nein, glaubte Jack. Wenn man ohne Absicht die Hand in das Wespennest gesteckt hatte, bedeutete das keinen Vertrag mit dem Teufel; seine zivilisierte Existenz mit allem Drum und Dran an Liebe, Ansehen und Ehre aufzugeben. Es ist einem einfach passiert. Passiv, ohne es verhindern zu können, hört man auf, ein geistiges Wesen zu sein und wird zum Spielball seiner Nerven; von einem Mann mit Universitätsbildung verwandelt man sich in fünf Sekunden in einen kläglichen Affen.
Er dachte an George Hatfield.
Groß und mit blonden Haaren war George ein fast unverschämt gutaussehender Junge. In seinen engen verschossenen Jeans, die Hemdsärmel bis an die Ellbogen aufgekrempelt, dass sie die sonnengebräunten Arme freigaben, erinnerte George ihn an eine jüngere Ausgabe von Robert Redford, und er brauchte sich wahrscheinlich nicht über mangelnde Chancen bei den Frauen zu beklagen – genauso wenig wie vor zehn Jahren der junge Fußballspieler Jack Torrance. Er war wirklich nicht eifersüchtig auf George und neidete ihm auch sein gutes Aussehen nicht; er betrachtete George vielmehr halb unbewußt als leibhaftige Inkarnation Gary Bensons, des Helden aus seinem Stück – den perfekten Gegenspieler des finsteren und alternden Denker, der sich in einen solchen Hass gegen Gary hineingesteigert hatte. Jack Torrance hatte George gegenüber nie derartige Gefühle gehegt. Wenn das der Fall gewesen wäre, hätte er es gewusst. Dessen war er ganz sicher.
George hatte seine Klassen in Stovington besucht. In Fußball und Baseball war er ein Star, in den wissenschaftlichen Fächern war er anspruchsloser und begnügte sich gewöhnlich mit einer C-Note oder einem gelegentlichen B in Geschichte oder Botanik. Im Sport entwickelte er gewaltigen Ehrgeiz, in den übrigen Fächern gab er sich eher gelangweilt oder amüsiert. Solche Typen kannte Jack, wenn auch mehr von seiner Studienzeit her als aus seinen Erfahrungen als Lehrer. George verhielt sich meistens zurückhaltend, aber wenn etwas seinen Ehrgeiz anstachelte (wie Elektroden an den Schläfen des Frankenstein -Monsters, musste Jack denken), konnte er ungeahnte Fähigkeiten freisetzen.
Im Januar hatte sich George mit zwei Dutzend anderen für das Debattier-Team gemeldet. Er hatte ganz offen mit Jack geredet. Sein Vater, ein Wirtschaftsanwalt, wollte gern, dass sein Sohn in seine Fußstapfen treten sollte. George, der keine brennenden anderen Interessen hatte, war einverstanden. Seine Leistungen waren nicht erstklassig, aber dies war schließlich erst die Oberschule, und er hatte noch Zeit. Wenn aus Sollen erst Müssen wurde, konnte sein Vater schon einige Fäden ziehen. Und seine eigenen athletischen Fähigkeiten würden ihm weitere Türen öffnen. Aber Brian Hatfield war der Ansicht, dass sein Sohn zunächst einmal ins Debattier-Team gehöre. Das gab Übung, und die Zulassungsstellen für die juristischen Fakultäten legten Wert auf eine solche Vorbereitung. George machte also beim Debattier-Team mit. Im vergangenen März schloss Jack ihn aus dem Team aus.
Die im späten Winter zwischen den Klassen abgehaltenen Debatten hatten George Hatfields Ehrgeiz gekitzelt, und er wurde zu einem draufgängerischen Redner, der seine jeweilige Pro- oder Kontraposition
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