Shining
Schulter gegen diese Tür gestemmt, und jetzt schien sie sich endlich zu schließen.
Jeder Anschlag auf der Schreibmaschine schloss sie ein wenig mehr.
»Schau, Dick, schau.«
Danny saß über die erste der fünf zerfledderten Fibeln gebeugt, die Jack durch gnadenloses Stöbern in den unzähligen Antiquariaten von Sidewinder aufgetrieben hatte. Im Lesen sollte Danny während des Winters den Leistungsstand eines Kindes in der zweiten Klasse erreichen, und sie hatte Jack gesagt, dass sie das Programm für ein wenig zu ehrgeizig halte. Dass ihr Sohn intelligent war, wussten sie, aber es wäre ein Fehler, ihn zu rasch zu Höchstleistungen anzutreiben. Jack war einverstanden gewesen. Wenn das Kind schnell lernte, konnte man immer noch das Tempo steigern. Auch darin hatte Jack sicherlich recht. Danny, der schon vier Jahre »Sesamstraße« und drei Jahre »Electric Company« hinter sich hatte, schien mit fast beängstigender Geschwindigkeit zu lernen. Das machte ihr Sorgen. Er hockte über den harmlosen kleinen Büchern, als hinge sein Leben vom Lesenlernen ab, während sein Quarzradio und das Segelflugzeug aus Balsaholz unbeachtet im Regal standen. Im hellen, konzentrierten Licht der verstellbaren Tischlampe sah sein Gesicht angespannter und blasser aus, als ihr lieb war. Er nahm das Lesen genauso ernst wie die Schreibübungen, die sein Vater jeden Nachmittag von ihm verlangte. So zeichnete Jack zum Beispiel einen Apfel und einen Pfirsich und schrieb das Wort Apfel darunter. Dann musste er das passende Bild umranden. Danny tat es und sprach dabei das Wort aus, den großen Bleistift in seiner kleinen Faust. Und dann schrieb er selbst ein paar Dutzend Worte, die er schon kannte. Langsam fuhr er mit dem Finger die Zeilen der Fibel entlang. Über dem Text war ein Bild, das Wendy aus ihrer eigenen Schulzeit noch verschwommen kannte. Ein lachender Junge mit braunem Kraushaar. Ein Mädchen in kurzem Kleid und mit blonden Locken. Ein spielender Hund, der einem roten Ball hinterher rannte. Die Dreieinigkeit der ersten Schulklasse. Dick, Jane und Jip.
»Schau, Jip läuft«, las Danny langsam. »Lauf, Jip, lauf. Lauf, lauf lauf.« Er hielt inne und legte den Finger an die nächste Zeile. »Siehst du den …« Er beugte sich so tief hinab, dass seine Nase fast die Zeile berührte. »Siehst du den …«
»Nicht so nahe heran, Doc«, sagte Wendy ruhig. »Du verdirbst dir die Augen. Es heißt –«
»Nicht sagen!« rief er und setzte sich ruckartig auf. Seine Stimme klang erschrocken. »Nicht sagen, Mommy, ich krieg’s selbst raus!«
»Schon gut, Honey«, sagte sie. »Aber es ist nicht so wichtig. Wirklich nicht.«
Ohne sich um sie zu kümmern, beugte sich Danny wieder vor. In seinem Gesicht lag ein Ausdruck, den man wohl eher bei einem Studenten erwartet hätte, der über seiner Examensarbeit brütet, und er gefiel ihr immer weniger.
»Siehst du den … Be. A. El. El. Siehst du den B-A-EL? Siehst du den Ba-el. Bael .« Plötzlich Triumph. Wild. Die Wildheit in seiner Stimme ängstigte sie. »Siehst du den Bael.«
»Richtig«, sagte sie. »Honey, ich denke, es ist genug für heute.«
»Noch ein paar Seiten, Mommy? Bitte!«
»Nein, Doc.« Sie schlug das rotgebundene Buch energisch zu. »Bettzeit.«
»Bitte!«
»Nun ärgere mich nicht, Danny. Mommy ist müde.«
»Okay.« Aber er schaute sehnsüchtig zur Fibel hinüber.
»Geh, gib deinem Vater einen Gutenachtkuss, und dann wasch dich. Vergiß nicht, dir die Zähne zu putzen.«
»Okay.«
Er ging hinaus. Jacks Schreibmaschine verstummte, und sie hörte, wie Danny seinem Vater einen schmatzenden Kuss gab. »Gute Nacht, Dad.«
»Gute Nacht, Doc. Wie sieht’s aus?«
»Ganz gut. Mommy sagt, ich soll aufhören.«
»Mommy hat recht. Es ist schon halb neun. Gehst du noch ins Bad?«
»Ja.«
»Gut. Aus deinen Ohren wachsen nämlich schon Kartoffeln. Und Karotten und Schnittlauch –«
Dannys Lachen wurde schwächer und dann vom festen Zuklappen der Badezimmertür ganz abgeschnitten. Er war im Bad gern allein, während sie und Jack in der Hinsicht gleichgültiger waren. Ein weiteres Zeichen dafür – und diese Zeichen häuften sich –, dass sich bei ihnen ein Mensch befand, weder eine Kopie von einem von ihnen noch eine Mischung von beiden. Es machte sie ein wenig traurig. Eines Tages würde ihr Kind für sie ein Fremder sein, und auch sie würde ihm fremd werden … aber nicht so fremd wie ihre eigene Mutter ihr geworden war. Oh Gott, so darf es nicht kommen. Er soll
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