Shining
sich mir gegenüber kaum geäußert.«
»Zu mir hat er auch nichts gesagt.« Sie gingen jetzt die Treppen hoch.
»Aber er ist oft so ruhig. Und er ist dünner geworden, Jack, das habe ich deutlich gemerkt.«
»Er wächst ganz einfach.«
Danny hatte ihnen den Rücken zugekehrt. Er betrachtete etwas, das bei Jacks Stuhl auf dem Tisch lag, aber Wendy konnte immer noch nicht erkennen, was es war.
»Er isst auch nicht mehr gut. Früher konnte er nie genug bekommen. Erinnerst du dich noch an das letzte Jahr?«
»Sie werden nun mal dünner, wenn sie wachsen«, sagte er sorglos.
»Das habe ich irgendwo gelesen. Wenn er sieben Jahre alt ist, werden wir ihm dafür gleich zwei Gabeln geben müssen.«
Sie waren auf der obersten Stufe stehen geblieben.
»Und dann arbeitet er so verbissen mit seinen Fibeln«, sagte sie. »Ich weiß, er will lesen lernen, um uns eine Freude zu machen … um dir eine Freude zu machen«, setzte sie widerwillig hinzu.
»Hauptsächlich, um sich selbst eine Freude zu machen« ,sagte Jack.
»Ich habe ihn in dieser Sache überhaupt nicht gedrängt. Im Gegenteil, mir wäre lieber, wenn er kürzertreten würde.«
»Hoffentlich hältst du es nicht für albern, wenn ich ihn untersuchen lasse. Es gibt da in Sidewinder einen sehr guten Arzt für Allgemeinmedizin, noch ziemlich jung, wie mir die Frau an der Kasse im Supermarkt sagte –«
»Du machst dir Sorgen, wenn du daran denkst, dass bald der Schnee kommt, nicht wahr?«
Sie zuckte die Achseln. »Das ist es wohl. Aber wenn du meinst, dass es albern ist –«
»Ganz und gar nicht. Ich finde sogar, du solltest für uns alle drei einen Termin machen. Wir lassen uns gute Gesundheit bescheinigen und können dann nachts wenigstens ruhig schlafen.«
»Ich werde mich heute Nachmittag darum kümmern«, sagte sie.
»Mom! Guck mal, Mommy!«
Danny kam mit einem großen grauen Gegenstand in den Händen herbeigelaufen, und für einen seltsam-schrecklichen Augenblick hielt Wendy ihn für ein Gehirn. Dann sah sie, was es wirklich war und fuhr instinktiv zurück.
Jack legte einen Arm um sie. »Ist schon in Ordnung. Soweit die Bewohner nicht weggeflogen sind, habe ich sie herausgeschüttelt. Ich habe ein Vertilgungsmittel gebraucht.«
Sie betrachtete das große Wespennest, das ihr Sohn im Arm hielt.
»Kann auch wirklich nichts passieren?«
»Ganz bestimmt nicht. Als ich Kind war, hatte ich eins im Zimmer. Mein Vater hatte es mir gegeben. Möchtest du es dir ins Zimmer stellen, Danny?«
»Ja! Sofort!«
Er drehte sich um und rannte durch die Doppeltüren. Sie hörten seine Füße noch gedämpft auf der Haupttreppe.
»Da oben waren also Wespen«, sagte sie. »Bist du gestochen worden?«
»Wo ist denn mein kleiner Liebling?« fragte er und zeigte ihr seinen Finger. Die Schwellung war schon etwas abgeklungen, aber sie pustete auf die Stelle und küsste sie leicht.
»Hast du den Stachel rausgezogen?«
»Wespen lassen ihn nicht stecken. Das tun Bienen. Die haben Widerhaken an den Stacheln. Wespen stechen ganz glatt. Das macht sie so gefährlich. Sie können immer wieder stechen.«
»Jack, sollte das Nest nicht lieber doch wieder aus dem Zimmer?«
»Ich habe genau die Anweisungen befolgt. Das Mittel tötet garantiert innerhalb von zwei Stunden jede Wespe und verdunstet dann ohne Rückstand.«
»Ich hasse sie«, sagte Wendy.
»Was … Wespen?«
»Alles, was sticht«, sagte sie und kreuzte die Arme vor der Brust.
»Ich auch«, sagte er und umarmte sie.
16
DANNY
Wendy hörte, wie Jack auf die Schreibmaschine hämmerte, die er von unten herauf gebracht hatte. Sie klapperte dreißig Sekunden lang, schwieg dann eine Minute und ratterte wieder los. Es hörte sich an wie Feuerstöße aus einem versteckten Maschinengewehrstand. Der Klang war Musik in ihren Ohren; so regelmäßig hatte Jack schon seit ihrem zweiten Ehejahr nicht mehr geschrieben. Damals schrieb er die Geschichte, die dann der Esquire kaufte. Jack hatte gesagt, dass er das Stück wohl bis zum Ende des Jahres abschließen würde. Er hatte gemeint, es sei ihm gleich, ob das Stück Aufsehen errege, wenn Phyllis es erst herumzeige, oder ob es gleich wieder in der Versenkung verschwinde, und auch das hatte Wendy ihm geglaubt. Die bloße Tatsache, dass er schrieb, stimmte sie schon hoffnungsfroh, nicht, weil sie sich von dem Stück viel erwartete, sondern weil ihr Mann im Begriff war, eine riesige Tür zu einem Raum voller Ungeheuer zu schließen. Er hatte sich schon so lange mit der
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