Shiva Moon
der berühmteste Guru des Subkontinents nach Bhagwans Tod, zaubert Asche aus dem Nichts, oder auch goldene Ringe. Und gleich nach der Kugel kommt das Problem. Wer etwas geschenkt kriegt, muss etwas zurückschenken. Zum Beispiel eine Decke. Er hat keine. Er friert sich nachts den Arsch ab. Ob ich da was tun könne. Ich gebe ihm zwanzig Rupien, und das schockiert ihn ziemlich. «Zwanzig Rupien sind nichts», sagt er, und zack! sind sie weg, so schnell wie die Kugel gekommen war. Aber diesmal habe ich den Trick gesehen. Nur ansatzweise, nur gerade eben, aber ich hab’s gesehen. Er pustet so geschickt in seine Hand, dass der Schein, von seinem Atem getragen, blitzschnell im Ärmel verschwindet. Möglicherweise ist das auch nur Wunschdenken oder Wunschsehen, ein Erklärungsmodell für das Unerklärliche, das ich brauche, damit mein Weltbild nicht den Bach runtergeht, aber im Grunde ist das so oder so egal. Das sage ich ihm. «Wenn du Holzkugeln materialisieren und Rupien verschwinden lassen kannst, warum holst du dir dann eigentlich nicht auch ’ne Decke aus dem Nichts?»
Er schimpfte lange hinter mir her.
So viel zur indischen Fraktion der Freunde und Brüder in Rishikesh, nun zu der unsrigen. Nach dem Besuch der Beatles rückte die Stadt an den Füßen des Himalaya sofort auf die Liste der MUSTS. Goa, Kathmandu und Rishikesh, das sind die drei großen Reiseziele seit dreißig Jahren. Nach Goa geht man zum Schwimmen, nach Kathmandu zum Kiffen und nach Rishikesh zum Meditieren. Ähnlich wie beim Strandurlaub, woder Tourist eine breite Palette von Sportmöglichkeiten (Surfen, Tauchen, Beachvolleyball) erwarten darf, wird ihm in Rishikesh alles geboten, was an Atemtechniken, Mantras und Yogastellungen zu haben ist, aber auch deren Weiterentwicklungen und Kombinationen. Lach-Yoga, Power-Yoga, Musik-Yoga, Tanz-Yoga, Gong-Yoga, Karma-Yoga, Herz-Yoga, Bauch-Yoga, Fahrrad-Yoga, Yoga mit und ohne ayurvedischem Tee sowie Yoga für Kinder und Yoga für Hunde. Das mit den Hunden stimmt natürlich nicht, aber es würde mich nicht verblüffen. Denn: Es gibt auch Kurse für «Enlightenment in one day». Also «Erleuchtung an einem Tag», was eine ziemlich gewagte Ansage ist. Nur «Erleuchtung in einer Stunde» habe ich in Rishikesh noch nicht gesehen.
Natürlich gibt es auch Astrologiekurse, Tarotkurse, Handlesekurse, Pendelkurse, Augenrollkurse und dreihunderttausend verschiedene Massagen. Angepriesen wird das Ganze auf Plakaten. Und egal, was sie anbieten und für wie viel, ein Wort ist auf allen Plakaten zu finden, mit denen die Stadt zutapeziert ist: das schöne Wort DIVINE. Göttlich. Und das in allen Steigerungen. Kann man «göttlich» steigern? Na klar. Super-divine, XXL-divine, special-rate-divine, two-divine-for-the-price-of-one-divine, so in dieser Art, und abgerundet wird die Angebotspalette im Supermarkt der Göttlichkeit mit Altarbildern, Buddha-Büsten, Räucherstäbchen, Kristallen, Amuletten und divine-bookshops. Sie verlangen in ihnen tatsächlich, dass du deine Schuhe ausziehst, als wäre es kein Geschäft, sondern ein Tempel, und jedes zweite Buch ist eine Autobiographie. Dasist auch in unseren Buchläden nicht viel anders, aber die Autobiographien in Rishikesh berichten durch die Bank nicht von diesem, sondern von früheren Leben. Was der Autor vor fünfhundert Jahren gemacht hat und was er vor zweitausend Jahren mal war. Wer diesen Rummel ernst nimmt, hat entweder keine Ahnung oder ist durchgeknallt, denke ich, und mit solcherlei Gedanken gehe ich zurück zum Hotel. Kurz bevor ich es erreiche, führe ich ein letztes Gespräch mit einem der bettelnden Sadhus. Inzwischen bin ich, Sie werden es verstehen, dieser Gespräche schon etwas überdrüssig. Deshalb frage ich ihn direkt ins Gesicht, ob er ein Bettler oder ein Sadhu ist. Er verdreht seine haschischroten Augen und sagt: «OM», was schlau ist, denn OM heißt «das Allumfassende», und das umfasst halt alles. Er ist also (u. a.) Bettler UND Sadhu. Dann macht er ein erbärmliches Gesicht, reibt sich über den Bauch und meint, er habe den GANZEN Tag noch nichts gegessen.
«Ich auch nicht», sage ich wahrheitsgemäß.
7. Die wahnsinnig schönen Geistheilerinnen
Das «Green Hotel» ist grün, die Außenmauern, die Innenwände, die Decken, das Foyer, das Restaurant, die Terrasse, alles grün, und ich habe bestimmt noch was vergessen, was hier außerdem grün ist. Der «Lonely Planet» erwähnt es in der Rubrik «Mittelklasse» und sagt, es sei
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