Shiva Moon
Wohngemeinschaft auf dem Hollywood-Filmfestival. Alle waren weiblich, alle waren vollbusig, und alle waren rund sechzig Jahre jünger als er. Dieses Foto liegt mir vor. Die sieben Schönen und der Greis. Was schreibe ich dazu? Ich brauche nicht viel, nur eine Idee, es sind gerade mal zehn Zeilen, die ich füllen muss, und mindestenszwei davon gehen schon für die Essentials (Ort, Zeitpunkt, Anlass) weg. Natürlich könnte ich es mir einfach machen und Google alles ausspucken lassen, was im World Wide Web über den Film zu finden ist, aber so einfach ist das in Rishikesh nicht, die PCs im «Blue Planet Cyber Shop» sind alt und langsam. Außerdem stürzen sie gern ab. Eiserne Regel ist: Je weniger man hier im Internet rumfummelt, desto länger hat man was davon. In solchen Fällen muss man auf die inneren Archive setzen. Lebenserfahrung, gesunder Menschenverstand, Werte. Unter dem Einfluss der klimatischen Verhältnisse in Zentraleuropa sowie unter dem Einfluss des Geistes, der dort herrscht, käme ich mit Sicherheit schnell in Versuchung, eine Todsünde zu begehen. Ein paar neidische Zeilen, zynisch vorgetragen, mit Moral kaschiert. Warum kann der Mann nicht in Würde alt werden? So was in der Art, und zudem die Frage, wie die Mädels reagieren, wenn er beim Gruppensex das Gebiss verliert. In Rishikesh kommen mir andere Gedanken zu dem Bild, weil in dieser Stadt ewige Potenz und endlos Geld nicht die Themen sind, die ihre Einwohner (und Besucher) bewegen. Was Las Vegas für das Glücksspiel ist, Bangkok für den Sextourismus und Wien für die Psychotherapie, das ist Rishikesh für das Yoga. Es ist die Yoga-Hauptstadt der Welt, seitdem die Beatles den großen Guru Maharishi Mahesh Yogi besucht haben, und vor den Beatles war es immerhin die Yoga-Hauptstadt des Subkontinents. Ashrams, Tempel und spirituelle Schulen samt ihren Parks und Gärten betten sich Reihe über Reihe in die hier sattgrünen Berghänge, denn Rishikesh liegt nicht in viertausend Meter Höhe, wie die Quelle des Ganges, sondern nurdreihundertvierzig Meter über dem Meeresspiegel, an den Füßen des Himalaya, an den Zehen, wenn man so will. Das liebliche Klima und die Spiritualität der Berge sind zwei Erklärungsmodelle für die Anziehungskraft der Stadt auf Yogis, Gurus und Asketen, dazu kommt, dass der Ganges hier langsam erwachsen wird, also ruhiger und breiter. Ab Rishikesh kann man endlich in ihm Sünden abwaschen, ohne Gefahr zu laufen, mit den Sünden auch das Leben in der Strömung zu verlieren.
Von alldem habe ich im «Blue Planet Cyber Shop» natürlich nur einen kleinen Ausschnitt, wenn ich meinen Blick von Hugh Hefner und seiner Silikon-WG losreiße, um sinnend aus den Fenstern zu sehen. Aber es ist ausreichend. Hinter den Fenstern zur Linken fließt der Ganges, und durch die Fenster zur Rechten kann ich ein paar staubige Meter der belebtesten Gasse von Rishikesh einsehen. Weil die gesamte Front des Internetshops ein einziges großes Fenster ist, handelt es sich hier um einen locker zehn bis fünfzehn Meter langen Laufsteg für «streetlife divine». Heilige Kühe, heilige Männer, heilige Rucksäcke ziehen vorbei sowie Pilgerfamilien aus ganz Nordindien, sogar die bunten Turbane und großen Nasenringe aus der Wüste von Rajasthan sind dabei, natürlich auch Bettler, Krüppel und räudige Hunde. Wie würden sie das Schicksal von Hugh Hefner bewerten? Würden sie ihn verdammen? Wären sie eifersüchtig? Schön, dass es auch einfache Fragen gibt. Und die Antwort ist: nein. Das Gegenteil ist der Fall. Die Hindus glauben, dass es exakt eine Million Wiedergeburten braucht, bevor die Seele sich in einem Menschen reinkarniert, und die 999999ste Reinkarnation ist der Hund. Das Rad der Wiedergeburten dreht sich unerbittlich weiter, aber eine Seele, die menschlich geworden ist, hat einen Quantensprung gemacht und kann ab sofort die Richtung beeinflussen, in die sich das Rad dreht. Böse Taten drehen es wieder nach hinten, gute Taten drehen es nach vorn, in immer feinere, glücklichere Existenzen. Je mehr Glück ein Mensch in diesem Leben hat, desto besser sind seine Taten im letzten Leben gewesen. Dasselbe gilt für Schönheit, und so gesehen muss ich es beim «Playboy»-Chef und seinen sieben Lieben mit einer Truppe von ehemals Heiligen zu tun haben. Denn die Mädchen sind durch die Bank wunderschön, und Hugh Hefner hatte Glück ohne Ende in diesem Leben. Zuerst ging sein Magazinkonzept auf, nackte Frauen, umrahmt von intelligenten Texten,
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