Shoal 01 - Lichtkrieg
gnadenlosen Abgrund zurück, und dabei bemerkte sie am hinteren Ende des Raumes eine Tür. Sie eilte hin, zog sie hastig auf und stand vor einem langen Korridor. Alles – die Form des Ganges, die Gestaltung der Tür und der Fenster – deuteten darauf hin, dass dieser Ort für Wesen geschaffen war, die größer sein mussten als Menschen und obendrein völlig unterschiedliche Proportionen aufwiesen.
Dakota stieg Treppenstufen hinab, die nicht für menschliche Beine angelegt waren; unterwegs blickte sie ständig um sich. Als sie am Fuß der Treppe angelangt war, sah sie eine Straße, die sich in der Ferne verlor.
Etwas an dieser Umgebung erzeugte in ihr die Gewissheit, dass diese Stadt schon vor langer, langer Zeit aufgegeben worden war. Ziellos wanderte sie durch die Gegend, nackt und immer noch unter Schock stehend, dann machte sie kehrt, weil sie Angst hatte, sich zu verirren. Schließlich fand sie den Rückweg, der sie in das Zimmer führte, in dem sie aufgewacht war.
Das Bett entsprach menschlichen Proportionen, auch das Datenbuch, das sich auf einem danebenstehenden Sockel befand. Sie konnte sich nicht erinnern, ob das Buch schon dagewesen war, als sie aufgewacht war.
Behutsam nahm sie es in die Hand und fing an, die Worte darin zu lesen.
Ein paar Stunden später pilgerte sie wieder durch die verwaisten Straßen; sie fühlte sich wie betäubt. Nach wie vor war sie nackt, und daraus folgerte sie, dass wer oder was auch immer sie hierhergebracht hatte, den Begriff der Kleidung nicht kannte. Das Konzept, seinen Körper mit Materialien zu bedecken, schien dieser Präsenz fremd zu sein. Nicht dass sie gefroren hätte, ihr war keineswegs kalt. Und obwohl sie ein Hungergefühl verspürte, hatte sie nicht den Eindruck, sie müsse unbedingt Nahrung zu sich nehmen, nur um am Leben zu bleiben.
Diese gesamte Welt war eine einzige Bibliothek: Das hatte das Buch ihr verraten. Zu ihrem Gefallen hatte die Bibliothek eine Gestalt angenommen, die ihr als Mensch vertraut war, und lieferte ihr die Informationen in Form von Worten auf elektronischen Seiten. Das Buch hatte sie auch darüber aufgeklärt, dass sie sich immer noch im Inneren des Wracks befand, welches Ikaria nicht verlassen hatte.
Das fremde Sternenschiff hatte diese Art und Weise gewählt, um sich mit ihr zu verständigen. Verglichen damit wirkte Corsos Interface-Sessel albern und primitiv.
Während Monate vergingen, lernte sie, wie sie die Geister der toten Bibliothekare der »Weisen« heraufbeschwören konnte, um sie über die Historie ihres Volkes zu befragen. Die Bibliothekare wiederum zeigten Dakota, was ihre wahre Berufung sei; denn sie glaubten, sie sei nach Nova Arctis gekommen, um ihre Bestimmung zu erfüllen.
Nach ein paar Jahren dämmerte ihr, was genau man von ihr verlangte, und dass sie nicht versagen durfte. Denn das Schicksal der gesamten Galaxis stand auf dem Spiel.
Corso lauschte seinen verzweifelten Atemzügen, während er stumm die Sekunden bis zu seinem sicheren Tod zählte. In seiner Panik dauerte es eine Weile, bis er sich vergegenwärtigte, dass ein Licht an der Kommandokonsole hektisch zu blinken begann.
Jemand versuchte, mit ihm Kontakt aufzunehmen.
Mit einem jähen Ruck setzte er sich aufrecht hin. Über einen Schirm scrollten Informationen, doch der Datenstrom floss so schnell, dass er ihn nicht entziffern konnte.
Es sah ganz danach aus, als hätte jemand anders die Kontrolle über die Piri Reis übernommen.
»Piri!«
Keine Antwort.
Wie ein Besessener hämmerte er auf die Kontrollen ein, doch sie reagierten nicht.
Das Schiff fing heftig an zu schwanken.
Seit Jahrtausenden hatten die drei Sternenschiffe der Weisen still und stumm in ihren Gräbern gelegen und auf die Ankunft eines Piloten gewartet.
Die ursprünglichen Piloten waren älter als Staub, halb vergessene »Weise«, die die Schiffe in dieses abgeschiedene, einsame System gesteuert hatten, während die Shoal noch dabei waren, die letzten Angehörigen ihres Volkes zu jagen und auszulöschen. Diese ersten Piloten hatten zahllose virtuelle Jahre innerhalb der Datenspeicher dieser drei Schiffe gelebt, doch selbst eine derart lange Zeitspanne, die in der subjektiven Erfahrung wie eine kleine Ewigkeit anmutete, endete einmal im unaufhaltsamen Verlauf der externen Zeit und durch die Gesetze der Entropie.
Schließlich hatte der Tod auch die virtuellen Präsenzen dieser Piloten ereilt.
Gleißende Ströme aus glühender Lava brodelten und flossen in den Tiefen von Ikarias
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