Shogun
Pflicht tun werde.«
»Wir bleiben heute nacht im Gasthaus«, sagte er.
»Ja.«
Da sie jedoch ein vollendeter Gast gewesen war und die Cha-no-yu die beste, die er je gefeiert, besann er sich eines Besseren und gab das Geschenk der Zeit und der inneren Ruhe in gleichem Maße an sie zurück, wie er es von ihr empfangen hatte. »Geht zum Gasthaus. Schlaft«, sagte er. Seine Hand nahm das Stilett und reichte es ihr. »Wenn der Ahorn keine Blätter mehr trägt – oder wenn Ihr aus Osaka zurückkehrt –, werden wir einen neuen Anfang machen. Als Mann und Frau.«
»Ja. Ich danke Euch.«
»Stimmt Ihr aus freiem Willen zu, Mariko-san?«
»Ja. Danke.«
Mariko verneigte sich, nahm das Stilett in Empfang und versteckte es wieder in ihrem Obi, verneigte sich nochmals und ging.
Ihre Schritte erstarben. Buntaro blickte auf die Thymianranke in seiner großen Hand, darin in einem winzigen Blatt immer noch die Träne festsaß. Seine Finger zitterten, als er die Ranke auf die letzte Glut legte. Die reinen grünen Blätter fingen an, sich zu krümmen und zu verkohlen. Zischend verging die Träne.
Dann, im Schweigen, fing er an zu weinen – vor Zorn, plötzlich fest davon überzeugt, daß sie ihn mit dem Anjin-san betrogen hatte.
Blackthorne sah sie aus dem Garten kommen und den erleuchteten Hof durchqueren. Es verschlug ihm den Atem, als er die Schönheit ihres weißen Gesichts wahrnahm. Die Morgendämmerung kroch am östlichen Himmel herauf.
»Hallo, Mariko-san.«
»Oh – hallo, Anjin-san! Ihr … verzeiht, Ihr habt mich erschreckt. Ich hatte Euch nicht gesehen. Ihr seid noch spät auf.«
»Nein. Gomen nasai. Es wird Zeit für mich.« Er lächelte und wies auf das schwache Licht, das den Morgen ankündigte. »Auf See habe ich es mir angewöhnt, immer kurz vor Morgengrauen aufzuwachen, gerade noch rechtzeitig, um an Deck zu gehen und die Sonne anzupeilen. Ihr seid es, die noch spät auf ist.«
»Ich habe gar nicht gemerkt, daß es … daß die Nacht schon vorüber ist.« Samurai waren am Tor und überall an den Türen aufgestellt und blickten neugierig herüber. Naga befand sich unter ihnen. Ihre Stimme wurde zu einem kaum hörbaren Flüstern, als sie auf lateinisch sagte: »Halte Er die Augen offen, ich bitte Ihn darum! Selbst die Finsternis der Nacht kann zum Schicksal werden.«
»Ich bitte um Verzeihung.«
Sie blickten beiseite, als Pferde zum Haupttor geführt wurden – Falkner, die Jagdgesellschaft und die Wachen. Niedergeschlagen trat Toranaga aus dem Haus.
»Es ist alles bereit, Euer Gnaden«, sagte Naga. »Darf ich Euch begleiten?«
»Nein, nein, vielen Dank. Ihr müßt Euch jetzt ausruhen. Mariko-san, wie war die Cha-no-yu?.«
»Unvergleichlich, Euer Gnaden. Unvergleichlich schön.«
»Buntaro-san ist darin ein Meister. Ihr seid zu beglückwünschen.«
»Jawohl, Euer Gnaden.«
»Anjin-san. Habt Ihr Lust, mit auf die Jagd zu reiten? Ich würde Euch gern zeigen, wie man mit einem Falken jagt.«
»Euer Gnaden?«
Mariko dolmetschte.
»Ja, vielen Dank«, sagte Blackthorne.
Mariko sah ihnen nach, als sie fortgingen. Nachdem sie den Pfad hinaufgeritten waren, ging sie auf ihr Zimmer. Ihre Zofe half ihr, sich auszuziehen, Schminke und Puder zu entfernen und das Haar zu öffnen. Dann gebot sie der Zofe, im Zimmer zu bleiben; sie wünsche vor Mittag nicht gestört zu werden.
»Jawohl, Herrin.«
Mariko legte sich nieder, schloß die Augen und genoß es, wie ihr Körper in den herrlichen weichen Decken versank. Sie war erschöpft, aber auch freudig erregt. Die Cha-no-yu hatte sie zu einem einsamen Gipfel des inneren Friedens emporgetragen, sie gereinigt – und von diesem Gipfel hatte die erhabene, freudebringende Entscheidung, in den Tod zu gehen, sie dann zu einem weiteren, nie zuvor gekannten Höhenflug emporgerissen. Daß sie jetzt von so schwindelerregender Höhe wieder zum Leben herabkam, erfüllte sie mit einem geradezu unheimlichen, unfaßlichen Bewußtsein, aus Fleisch und Blut und lebendig zu sein. Sie waren beide vollkommen gewesen. Sie rollte sich im Bett zusammen, so froh, daß jetzt Frieden herrschte … bis die Blätter fielen.
In aller Demut betete sie ein Ave Maria, bat um Vergebung und tat dann – wie es ihre Gepflogenheit war und im Gehorsam ihrem Lehnsherrn gegenüber – ihren Gott für einen weiteren Tag in das für ihn bestimmte Fach ihres Geistes. Was hätte ich wohl getan, sann sie, ehe der Schlaf sie umfing, wenn Buntaro gebeten hätte, mein Bett mit mir zu
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