Shon'jir – die sterbende Sonne
dachte, was er getan hatte. Nahrung, Wasser, andere Bedürfnisse hatten sie im Moment nicht. Sie hatten hereingewollt, und durch ihn hatten sie es erreicht.
Er floh, als die Furcht ihn überflutete. Er keuchte, als er die letzte Strecke zum medizinischen Flügel rennend zurücklegte. Er sah die Tür, durch die er wollte – verschlossen, wie alle anderen Türen während der Alarmsituation. Er öffnete sie von Hand und schloß sie wieder.
»Sir?« fragte der diensthabende Posten.
»Sind sie wach?« fragte Duncan, rauh und heftig. Der Posten sah verwirrt aus.
»Nein, Sir, ich glaube nicht.«
Duncan schob sich an ihm vorbei, öffnete die Tür und blickte auf Niun. Die Augen des Mri waren auf die Decke gerichtet. Duncan trat ans Bett und packte heftig Niuns Arm.
»Niun. Die Dusei sind gekommen.«
Feiner Schweiß bedeckte die Stirn des Mri. Die goldenen Augen blickten in die Unendlichkeit.
»Sie sind hier!« schrie Duncan ihm fast zu. Niun blinzelte.
»Ja«, sagte er. »Ich spüre sie.«
Und danach antwortete Niun auf nichts mehr, reagierte auf nichts, und die Augen gingen zu, und er schlief mit entspanntem und ruhigem Gesichtsausdruck.
»Sir!« fragte der Posten und betrat den Raum entgegen gültiger Befehle. »Soll ich jemanden rufen?«
»Nein«, sagte Duncan rauh. Er drängte sich an dem Mann vorbei, ging hinaus auf den Flur und machte sich auf den Weg zu den oberen Schiffsdecks. Das Interkom meldete sich, der Alarm wurde aufgehoben. Er hörte, daß Boaz dringend nach ihm rief.
Er erinnerte sich hinterher nicht mehr an den Weg hinauf, zur Gänze eine leere Stelle in seinem Bewußtsein, als er den Bereich der Schleuse erreichte und die ängstlich wartende Boaz fand. Er fürchtete solche Zeitspannen, erinnerte sich an das Verschwimmen der Wahrnehmungen, das ihn zuvor überfallen hatte.
»Sind das Haustiere?« wollte Boaz von ihm wissen.
»Es – scheint so. Für die Mri sind sie es. Sie sind... ich weiß nicht... Ich weiß es nicht.«
Boaz musterte ihn kritisch. »Für heute sind Sie fertig«, sagte sie. »Keine weiteren Fragen. Wenn sie sicher untergebracht sind, keine Fragen.«
»Niemand soll da runtergehen. Sie sind gefährlich.«
»Niemand wird sich ihnen nähern.«
»Sie sind halbintelligent«, sagte er. »Sie haben die Mri gefunden. Über die ganze Wüste hinweg und unter all diesen Bauwerken hier haben sie sie gefunden!«
Er zitterte. Sie berührte seinen Arm, die blonde, plumpe Boaz, und in diesem Moment war sie das schönste und freundlichste Geschöpf auf ganz Kesrith. »Sten, gehen Sie nach Hause!« sagte sie. »Gehen Sie in Ihr Quartier und ruhen Sie sich aus! Einer der Sicherheitsoffiziere wird Sie begleiten. Gehen Sie hier hinaus!«
Er nickte, maß seine Kraft gegen die Entfernung zum Nom und kam zu dem Schluß, daß ihm genug verblieben war, um sein Zimmer zu erreichen, ohne ins Taumeln zu geraten. Er wandte sich um, blindlings, ohne ein Dankeswort für Boaz, erinnerte sich an nichts, bis es zur Tür hinaus und halb die Rampe hinab war, an seiner Seite ein Mann von der Sicherheit mit einem Gewehr in der Armbeuge.
Die mentalen Lücken erschreckten ihn. Müdigkeit, vielleicht. Er wünschte, das glauben zu können.
Aber er hatte sich nicht bewußt dazu entschlossen, die FLOWER mit den Dusei zu betreten.
Er hatte sich nicht entschlossen.
Er zog sein Bewußtsein weg, weit weg von den Dusei, kämpfte gegen eine schwindelnde Rückkehr zu der Wärme ihrer Berührung.
Ja , hatte Niun gesagt, ich spüre sie.
Ich spüre sie.
Er redete mit dem Mann von der Sicherheit, etwas, um die Stille zu überwinden, redete von banalen Dingen, von sinnlosen Dingen, mit undeutlicher Sprache und ohne spätere Erinnerung an das, was er gesagt hatte.
Daß kein Schweigen herrschte, war nur erforderlich, bis er in der hellerleuchteten Sicherheit des Nom war, in dessen echoerfüllten Hallen, wo es nach Regul und Menschen roch.
An der Tür verabschiedete sich die Wache von ihm, drückte ihm ein Plastikfläschchen in die Hand. »Ein Rat von Dr. Luiz«, sagte er.
Duncan fragte nicht, was die roten Kapseln darstellten. Sie töteten seine Träume, betäubten seine Sinne, ermöglichten es ihm, zu ruhen, ohne sich an etwas zu erinnern.
Er erwachte am nächsten Morgen und stellte fest, daß er das Licht nicht gelöscht hatte.
4
Stavros, der außerhalb seines Schlittengehäuses saß, in der Zurückgezogenheit seines eigenen Quartiers, sah wie ein Mann aus, der nicht geschlafen hatte. Auf dem Schreibtisch vor ihm
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