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Shon'jir – die sterbende Sonne

Shon'jir – die sterbende Sonne

Titel: Shon'jir – die sterbende Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Cherryh
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Zurückhaltung des Sen bestimmt. Sie ging nicht verschleiert. Die Mutter eines Edun verschleierte sich fast nie, ihr Gesicht war ihren Kindern ständig zugänglich. Nur in Gegenwart des Profanen und des Unannehmbaren wandte sie das Gesicht ab. Melein war allein: die Goldgewandeten des Sen hätten ihre Diener sein sollen; erfahrene Krieger des Kel hätten ihre Ehemänner sein sollen, und die Älteste des Kath hätte ihr zu ihrer Freude Kinder mit strahlenden Augen bringen sollen. Niun spürte, wie unangemessen alles war, das er für sie tun konnte, manchmal mit schmerzlicher Klarheit.
    »Niun.« Sie lächelte und berührte die ihr angebotene Hand. Er kniete neben ihrem Stuhl nieder – kniete, denn das Kel nutzte nicht den Luxus von Möbeln, genauso wenig wie das asketische Sen. Sein Dus war bei ihm, warm und fest. Das kleinere kauerte sich als Besucher zu Füßen der She'pan nieder, verehrte sie nach Dus-Art. Man sagte, daß ein Sen-Verstand zu komplex und zu kalt war für den Geschmack der Dusei. Niun wußte nicht, ob das stimmte: es war seltsam, daß nie ein Dus nach Melein verlangt hatte, selbst damals nicht, als sie noch zum Kel gehörte, für sie eine Quelle des Kummers und bitteren Neides auf andere Kel'ein. Jetzt hatte sie keines und wollte auch keines. Das Dus verehrte sie, aber näherte sich ihr nicht im Bewußtsein – zog selbst einen Menschen Meleins' Intel vor, der berechnenden Macht einer She'pan.
    Niun senkte den Kopf unter ihrer Berührung und sah dann wieder auf. »Ich habe Duncan gebracht«, sagte er. »Ich habe ihm gesagt, wie er sich betragen soll; ich habe ihn gewarnt.«
    Melein senkte den Kopf. »Wenn du meinst, daß es Zeit ist«, sagte sie und streichelte den Rücken des Dus, das neben ihr saß.
    Niun sah zu ihr auf, wollte ein letztesmal an ihre Geduld appellieren – zu ihr sprechen, wie er es als Kind getan hatte. Er konnte jedoch diese Vertrautheit mit ihr nicht mehr finden. Die Bestürzung teilte sich den Dusei mit, und seines schüttelte den Kopf. Er stand auf und stieß das Tier, damit es sich in Bewegung setzte.
    Duncan wartete. Niun fand ihn dort stehend, wo er ihn verlassen hatte, an die Tür auf der anderen Seite des Korridors gelehnt. »Komm«, sagte er zu dem Menschen, »und verschleiere dich nicht! Du befindest dich nicht in einer fremden Halle.«
    Duncan befestigte den Mez wieder dicht unter dem Kinn und begleitete Niun hinein, zögerte in der Mitte des Raumes, bis Melein selbst einladend die Hand ausstreckte und ihm zeigte, wohin er sich setzen sollte, zu ihrer Linken, wo das kleinere Dus lag.
    Duncan ging dorthin, hatte Angst vor dem Dus, tödliche Angst. Niun öffnete den Mund zum Protest, aber dachte dann, daß es Duncan beschämen würde, wenn er es tat, seine Eignung in Zweifel ziehen würde, hier zu sein. Vorsichtig ließ sich Duncan dort nieder, wo er sollte, und Niun nahm seinen eigenen Platz zur Rechten Meleins ein, eine Armlänge von Duncan und dem anderen Tier entfernt. Er berührte das kleine Dus mit den Fingerspitzen, spürte, daß es beruhigt war, und war erleichtert darüber.
    »Duncan«, sagte Melein sanft. »Kel Duncan. Niun versichert, daß du Hal'ari verstehen kannst.«
    »Mir fehlen noch Wörter, She'pan, aber ich verstehe es.«
    »Aber du hast auch etwas Mu'ara verstanden, bevor du dich zu uns gesellt hast.«
    »Ja. Ein paar Wörter.«
    »Du mußt sehr hart gearbeitet haben«, sagte sie. »Weißt du, wie lange du an Bord bist?«
    »Nein. Ich zähle die Tage nicht mehr.«
    »Bist du zufrieden, Duncan?«
    »Ja«, sagte er, was Niun den Atem stocken ließ, denn er glaubte es nicht. Duncan log: es war menschliches Verhalten.
    Indem er das tat, hatte er einen Fehler gemacht.
    »Du weißt«, sagte Melein, »daß wir heimkehren.«
    »Niun hat es mir berichtet.«
    »Hat dein Volk das vermutet?«
    Duncan antwortete nicht. Die Frage bestürzte ihn sehr; Niun spürte das durch die Dusei – einen Schock der Angst.
    »Unsere Reise in die entgegengesetzte Richtung«, fuhr Melein sanft fort, »war vor langer Zeit, bevor uns Schiffe wie dieses zur Verfügung standen, keine so schnelle Fahrt, nein. Entlang des Weges, der uns zu euch führte, haben wir uns auch aufgehalten, manchmal ein- oder zweitausend Jahre. Gewöhnlich gibt es Zeiten, in denen das Volk wirklich vergißt, und in der Dunkelheit zwischen den Sonnen werden Generationen geboren, denen die Pana, das Verbotene, das Heilige, die Mysterien nicht beigebracht werden. Und sie treten hinaus auf eine neue Erde,

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