Shooting Stars (German Edition)
wird. Weil es nichts ist als ein Zufall. Ein Talent, das man in die Wiege gelegt bekommen hat, vielleicht. Das gewisse Etwas, das es doch nicht gibt. Diese Besonderheit, von der all die Moderatoren und Journalisten auf die eine oder andere Art immer wieder berichten und die in Wirklichkeit nichts anderes ist als eine Illusion, eine Eigenschaft, die man nur deshalb wahrnimmt, weil man irgendwann beschlossen hat, sie wahrnehmen zu wollen.
Es ist dieser negative Spiegel, den ich zerschlagen werde. Ich werde der Sand im Getriebe dieses leerlaufenden Motors sein. Ich werde ihn zum Stehen bringen. Mit jedem meiner Attentate werde ich dem Motor zusetzen. Werde ich den Spiegel stumpf und blind machen. Auch mit dem nächsten, das jetzt folgen wird. Jetzt, weil er gerade alleine und ohne den geringsten Verdacht zu schöpfen an mir vorbeigegangen ist.
10
Ich kann nicht sagen, dass er erstaunt gewesen wäre, als ich seinen Namen gerufen habe. Er ist kurz stehen geblieben und hat sich zu mir umgedreht. Offenbar in Erwartung, dass ich ein Autogramm von ihm haben wolle. Und ich glaube, mein Erscheinungsbild hat ihn überrascht. Es hat ihn erstaunt, dass jemand in Hemd und Sakko seinen Namen gerufen hat. Trotzdem ist er stehen geblieben. Hat gewartet, bis ich die paar Schritte zu ihm aufgeschlossen hatte. Bis ich keine drei Meter mehr von ihm entfernt stehen geblieben bin.
Und jetzt sieht er mir zu. Er beobachtet, wie ich langsam in mein Sakko greife. Ich sehe, wie er es nicht fassen kann. Er versteht nicht, wie es sein kann, dass ich nicht einen kleinen Notizblock oder irgendetwas anderes, auf das er ein Autogramm schreiben könnte, aus meinem Halfter gezogen habe, sondern meine P12.
Er sieht sie an. Starrt auf den Schalldämpfer und dann auf mich. Sieht mir in die Augen und konzentriert seinen Blick dann wieder auf den Schalldämpfer und meine Pistole.
Ein Zucken, das durch sein Gesicht geht, und ein halb kämpferischer, halb verzweifelter Zug um den Mund machen mich glauben, dass er doch verstanden hat. Es ist ihm klar geworden, was gleich passieren wird.
Er dreht sich um und versucht wegzulaufen. Ich lasse ihm noch zwei oder drei Schritte.
Einen kurzen Moment, bevor ich abdrücke, frage ich mich, ob er erleichtert ist, weil er immer noch keinen Schuss gehört hat. Dann zerplatzt sein Kopf und die Wucht der mit nicht viel mehr als einem leisen Klicken abgefeuerten ACP reißt seine Beine vom Boden und schleudert seinen großen, massigen Körper einen ganzen Meter weit nach vorne.
VIER
1
Sie reden, vermuten, analysieren und fragen. Aber sie haben keine Ahnung. Die Ermittlungen in Frankreich haben zu keinem Ergebnis geführt. Offiziell noch nicht einmal zu einer echten Spur. Und das wird sich bis morgen auch nicht ändern. Bis zu dem Tag, an dem man sie in Paris mit großem Pomp zu Grabe tragen wird. Unter den schärfsten Sicherheitsvorkehrungen. Und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es soll keinen großen Menschenauflauf geben. Aber trotzdem müssen sie den empörten Franzosen ein Forum bieten. Und dieses Forum wird die Straße sein. Die Trauerfeier für das Volk wird auf den Straßen von Paris, Marseille, Toulouse, Bordeaux und in vielen anderen großen und kleinen Städten Frankreichs abgehalten werden.
Es werden diese Orte sein, an die man die Kamerateams und Journalisten schicken wird, morgen. Wenn alle von der Trauer des Volkes sprechen werden. Wenn sie versuchen werden, diese Trauer so eindrucksvoll wie möglich in Szene zu setzen. Die Anteilnahme an einem Begräbnis, auf das die Franzosen zu lange haben warten müssen. Und ich weiß auch nicht, warum es so lange gedauert hat. Obwohl sie einen Tag nach dem Attentat gestorben war, hat es bis heute gedauert, nein. Es wird bis morgen gedauert haben, bis sie Carla auf diesem kleinen, von der Öffentlichkeit abgeschirmten Friedhof zur letzten Ruhe betten werden.
Auf der ganzen Welt werden ihre Bilder zu sehen sein. Und ich kann mir keinen besseren Moment vorstellen als diesen Tag. Wenn alle darüber sprechen, wenn sie besonders sensibel für neue Informationen sind, werde ich meine Botschaft in die Welt schicken. Morgen. Kurz vor vier Uhr, mitten am Nachmittag. Gerade wenn das staatstragende Begräbnis zu Ende gegangen sein wird, werde ich Fernsehsender in Frankreich, in Deutschland und in England informieren. Eine einfache E-Mail wird mir genügen, auf meinem Smartphone getippt, das ich gestern bei einem heruntergekommenen Gebrauchtwarenhändler in Koblenz
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