Shooting Stars (German Edition)
140 PS nicht. Aber das ist am Ende kein Auto. Weil sie einen immer bekommen, wenn man mit dem Auto flüchten will. Und ich weiß nicht, warum es die Leute immer noch versuchen. Vor allem in den USA versuchen sie das immer und immer wieder. Hier vielleicht auch. Ich weiß es nicht. Aber ich bin mir sicher, dass es vollkommen sinnlos ist. Weil sie immer in der Überzahl sind. Weil man ihnen auch mit 300 auf der Autobahn nicht davonfahren kann. Das einzige, was sie tun müssen, ist einen Helikopter in die Luft zu bringen. Dafür brauchen sie drei Minuten. Fünf vielleicht. Und keine zehn Minuten später ist er an Ort und Stelle. Schwebt über dir. Selbst, wenn du mit Vollgas flüchtest, können sie ganz entspannt vom Heli aus zusehen, wohin du flüchten willst. Und sie sperren die Straße. Machen einfach die Autobahn vor dir dicht und dann ist Feierabend.
Es sei denn, man hat eine Geisel, denke ich. Aber selbst eine Geisel würde mich nicht wegbringen. Im Normalfall kann man vielleicht versuchen mit einer Geisel ins Ausland zu flüchten, denke ich. Wenn man eine Bank überfallen hat oder jemanden erpresst. Als Wirtschaftskrimineller, oder wenn man eine Firma auf fahrlässige Weise in den Abgrund gestürzt hat. Aber jetzt, in meinem Fall, weil sie international in Alarmbereitschaft sind, würde mir auch das nichts bringen. Ich bin mir sogar sicher, sie würden es gar nicht so weit kommen lassen, sondern ihre Humanität für einen Moment vergessen und mich um jeden Preis stoppen. Mich und die Geiseln, die ich mitnehmen könnte.
Aber sie werden mich nicht stoppen. Nicht hier in der Bernstorffstraße. In der ich warte. Und mehr hoffe als weiß, dass er mir in die Arme laufen wird. Dass er an mir vorbeifahren wird und dass ich ihn auch erkennen werde. Denn so sicher bin ich mir nicht, dass ich ihn werde erkennen können. Schließlich hat er mich noch nie interessiert. Ich wusste noch nicht einmal richtig, dass er überhaupt existiert. Bis vor zwei Wochen, als ich herausgefunden habe, wo er wohnt. Oder zumindest wo er arbeitet. Dass er sein Studio hier hat. Und das heißt für mich, dass er irgendwann hier vorbeikommen wird. Vielleicht nicht heute. Vielleicht nicht morgen. Aber ich werde warten. Wenigstens ein oder zwei Tage werde ich auf ihn warten. Auf ihn und auf den richtigen Moment, in dem ich ihn zu einem zufälligen Opfer meines Planes machen werde. Bloß der Zufall, dass mir seine Adresse bekannt ist und dass er mehr oder weniger prominent ist, hat ihn auf meine Liste gesetzt.
Samy, denke ich. Ich habe gar nichts mit ihm zu tun. Dieter, ja. Heidi auch. Und andere, die ich auf meiner Liste habe. Till zum Beispiel. Es gibt viele, die ich lieber auf der Liste hätte als Samy. Weiter oben auf der Liste. Aber es ist nun einmal so, dass er über eine Website, wahrscheinlich ohne darüber groß nachzudenken, preisgegeben hat, wo ich ihn finden kann. Und aus diesem einfachen Grund wird er es sein, der als nächster fallen wird.
Obwohl ich nicht weiß, wer seine Fans sind, obwohl er mir genauso egal ist wie seine Fans, werde ich sie als Sprachrohr nutzen. Wird sein Körper mir als Träger meiner Botschaft dienen.
Aber es ist anders als bei Dieter und Heidi. Er ist kein Alpha-Target. Ich werde ihn nur erschießen, weil es im Grunde egal ist, wen ich als nächstes erschieße. Ob es Samy ist. Oder Till. Oder Stefan. Oder Mario. Oder Lena. Oder Daniela. Jeder einzelne wird mich einen Schritt weiterbringen. Mich und mit mir meine Idee.
Es ist wieder wie im Krieg, denke ich. Es gilt dieselbe Logik, weil es auch hier nicht die Person ist, nicht ein Mensch, der zu meinem Ziel wird, sondern seine bloße Funktion. Ich werde einen nach dem anderen erledigen. Und dabei ist es am Ende gar nicht so wichtig, ob sie tatsächlich sterben. Wichtig ist nur, dass sie Angst haben. Angst vor meinem Schuss. Und deshalb auch Angst davor, auf die Bühne zu gehen und von der Bühne herab in die Welt hinaus zu strahlen. Ich möchte, dass sie sich vor ihren eigenen Konzerten, vor ihren Filmpremieren, vor Release-Partys und Preisverleihungen fürchten. Und dass sich auch die Fans vor ihren Auftritten fürchten. Dass keiner hingehen will, weil es immer sein kann, dass etwas Schreckliches passiert. Ein Schuss. Eine Bombe. Oder ein anderes Attentat, das auf ihren Star abzielt. Oder auch auf sie. Falls sie es schaffen sollten, die Stars so gut zu beschützen, dass ich nicht mehr an sie herankomme, werde ich auch Fans erschießen. Wenn es nicht anders
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