Shooting Stars (German Edition)
Geschehnisse eingespielt wird, passiert etwas Ungeheuerliches. Eine Männerstimme im Publikum schreit:
Du Schwein! Du dreckiges Stück Scheiße du!
Die Kamera schwenkt auf einen jungen Mann. Er ist ordentlich gekleidet. Trägt saubere Jeans, ein blassrosa Hemd und ein dunkelblaues Sakko. Er steht in seiner Sitzreihe, mitten zwischen den anderen Studiogästen, schreit noch einmal
Du Schwein!
und dreht sich dann zur Seite, drängelt sich an seinen Sitznachbarn vorbei in die Mitte, steht auf dem großen breiten Gang, und wären nicht dieser verbissene Ausdruck in seinem Gesicht und der schwere, aufgeregte Atem, den man nicht hören, den man aber sehen kann, man könnte ihn für einen ganz harmlosen Talkshowgast halten.
Mich würde interessieren, wie die anderen dreinschauen. Wie Stefan reagiert. Aber die Kamera bleibt auf diesem Mann, die Regie hat sich entschlossen draufzuhalten, und ich frage mich, warum noch keine Sicherheitskräfte bei ihm sind. Wie kann es sein, dass sie sich noch nicht auf ihn geworfen haben, bei der Spannung, die in der Luft liegt, bei all dem, was in den vergangenen Wochen passiert ist, ist es mir ein absolutes Rätsel, warum sie ihn noch nicht überwältigt haben, sondern sich ihm bloß langsam nähern.
Sie machen den Mann nervös. Sie treiben ihn langsam in die Enge. Schritt für Schritt nehmen sie ihm seinen Handlungsspielraum.
Das wird nicht gutgehen. Sie müssten ihn schnell, denke ich, und sehe dem Mann zu, wie er langsam die Treppe hinuntergeht, auf Stefan zu. Wie er nervös hin und her sieht. Nervös, aber vollkommen bei sich.
Es sieht nicht so aus, als ob er den Kopf verlieren würde. Auch in seinem Gesicht meine ich diese kühle Entschlossenheit zu sehen. Und ich denke, nein, ich bin mir sicher, dass auch er schon. Oder vielleicht, denke ich, ist er bloß ein Schauspieler, den man gleich zu Boden werfen und aus dem Saal entfernen wird.
Ein Raunen geht durch das Publikum und die Kamera zeigt jetzt Stefan. Er sitzt in seinem Rollstuhl und wenn ich seinen Blick richtig deute, ist er vollkommen wütend. Es sieht aus, als ob ihn diese Emotion total beherrschen würde. Er, der strahlende Stefan, blickt so grimmig drein, wie es wohl keiner seiner Fans je gesehen hat. Seine Frau hat ihn vielleicht schon so gesehen. Ziemlich sicher, denke ich. Und kann nicht anders, als für einen kurzen Moment auch an Marian zu denken. Aber dann zieht mich das Geschehen wieder in seinen Bann. Sehe ich Stefan zu, wie er versucht, sich nach vorne zu lehnen. So gut er das kann, stützt er sich ab, und mit leiser, aber bebender Stimme fragt er:
Und warum bin ich ein Schwein?
Fragt das zwei- oder dreimal hintereinander und schreit dann plötzlich, so laut er in seinem Zustand schreien kann:
Warum soll ich ein Schwein sein?
Die Kamera zeigt, wie Stefan aufsteht. Langsam und mühsam hebelt er sich mithilfe seines gesunden rechten Arms aus seinem Rollstuhl. Stützt sich auf die Lehne und steht schief da. So schief, dass man das Gefühl hat, er muss jeden Moment wieder in sich zusammensacken, zurück in seinen Rollstuhl fallen.
Aber er bleibt stehen. Er lässt sich nicht beschimpfen, ohne dem Angreifer etwas entgegenzuhalten, denke ich. Und ein wenig bewundere ich ihn. Nicht nur dafür. Auch weil er heute überhaupt hier steht, er sich nicht in einem Krankenzimmer abschirmen lässt, bewundere ich ihn. Und hasse ihn gleichzeitig. Weil er sogar jetzt, nachdem ich versucht habe, das Leben aus ihm herauszuschießen, nichts besseres mit sich anzufangen weiß, als sein Gesicht und seine Verletzungen in die Kamera zu halten. Weil er sogar heute da steht. Und ich bin mir sicher, es geht ihm höchstens zur Hälfte darum, Stärke zu zeigen. Er ist auch hier, vielleicht ist er sogar vor allem hier, weil er ganz genau weiß, dass ihn dieser heutige Auftritt unsterblich machen wird.
Zwei Securities, bloß zwei, denke ich. Sie sind ihm noch nicht sehr nahe gekommen, sie werden ihn sich aber bald greifen. Seine einzige Chance, denke ich, und denke zu langsam, weil er sie schon wahrnimmt. Er stürmt auf Stefan zu, tritt einen Security, der ganz plötzlich vor Stefan steht, wahrscheinlich hatte die Kamera diesen Sicherheitsbeamten vorher einfach nicht im Bild, denke ich und sehe, wie der Personenschützer zur Seite fliegt. Spielend sieht das aus, wie der Angreifer diesen bestimmt 1,90 Meter großen Mann zur Seite wirft. Mit einem wuchtig gesprungenen Tritt in den Bauch befördert er ihn auf den Boden und danach tritt er ihm
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