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Shooting Stars (German Edition)

Shooting Stars (German Edition)

Titel: Shooting Stars (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mandler
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Kopf hinhalten. Schulter an Schulter, in der Krise rücken sie zusammen. Im Moment ist da keiner, der es wagt, dem Minister Untätigkeit oder Unfähigkeit oder beides vorzuwerfen. Trotzdem wird jemand dafür, dass ich vollkommen unbehelligt in diesem Zimmer sitzen und fernsehen kann, die Konsequenzen tragen müssen. Der Leiter der Ermittlungen, ein Kommissions-Chef, der Veranstalter eines Auftritts oder ein Minister. Denn man muss schon deshalb, weil man das aufgestaute Unbehagen in der Gesellschaft wieder loswerden muss, weil man einen Akt der Reinigung vollziehen will, muss man in solchen Situationen jemanden an den Pranger stellen.
    Hier, in Deutschland, ist es absurderweise Stefan, der diesen Akt der Reinigung vollziehen will. Er will ihn zumindest beginnen. Macht einen ersten, mutigen Schritt. Setzt sich heute vor die Kamera, und weil das Attentat in Schweden stattgefunden hat, muss er, oder vielmehr muss sein Sender alles daransetzen, dass er auch wahrgenommen wird. Stefan schafft es gerade so, die Aufmerksamkeit zu bekommen, die er verdient hat. Die wir verdient haben, denke ich. Und ein wenig lässt meine Wut auf diese Schweden nach, die mit dem Bus der Nationalmannschaft auch meinen Plan beschossen haben. Mir wird klar, dass wir heute Abend wenigstens einen Teil der Aufmerksamkeit zurückbekommen werden. Man muss das Thema zwar antreiben. Obwohl Stefan der einzige Überlebende ist, der bisher darüber spricht, und obwohl schon diese Tatsache die Sendung normalerweise zu einem Selbstläufer machen würde, muss man heute für die Sendung einpeitschen. Sie geben sich Mühe, sich gegen all die Breaking News auf den anderen Kanälen zu behaupten, und sie tun ihr Bestes, um Stefan den Boden für seinen heutigen Auftritt zu bereiten.
    Es könnte das Fernsehereignis des Jahres werden. Er wird, dieser Abend wird Stefan in einem gewissen Sinn unsterblich machen. Denke ich und kann nicht anders, als weiterzudenken: nicht im körperlichen Sinn. Denn jetzt, nachdem die Sendung begonnen hat, nachdem seine Gäste die Diskussionsrunde eröffnet haben und Stefan ins Studio geschoben worden ist, in einem Rollstuhl haben sie ihn ins Studio geschoben und um seinen Oberkörper trägt er einen dicken Verband. Jetzt ist er schwach. Er ist blass im Gesicht. Zwar nicht ungeschminkt, aber sie haben sich Mühe gegeben, seine Schwäche nicht zu gut zu überdecken. Heute, denke ich, will er nicht stärker erscheinen, als der Quote gut tut. Er schwitzt. Während er mit ungewöhnlich leiser und zurückhaltender Stimme spricht, bilden sich Hunderte kleiner Schweißperlen auf seiner Stirn.
    Er spricht darüber, dass er sich an kaum etwas erinnern kann. Dass er nur mehr weiß, wie er mit den drei anderen auf seine Terrasse gegangen war. Um eine neue Sendung zu besprechen. Deshalb sei ja auch Till dagewesen. Mit dem er noch nie eng zusammengearbeitet habe. Den er aber mitnehmen wollte in diese neue Art des Fernsehens. Was auch immer das sein soll, deine neue Art des Fernsehens, denke ich. Und weiß, dass es jetzt vollkommen unwichtig ist, welche Art des Fernsehens er meint.
    Ich höre Stefan zu, wie er weiterspricht und wie er erklärt, dass er eigentlich nie Leute für Gespräche über die Arbeit zu sich nach Hause einlädt. Dass er das nur getan hat, weil zwei von ihnen lange, gute Freunde waren, die ohnehin schon öfters bei ihm gewesen waren. Und weil er sich an diesem Tag nicht richtig wohl gefühlt hatte, hat er auch Till noch zu sich eingeladen. Aus gesundheitlichen Gründen. Sagt er. Und lächelt traurig, mit verzogenem Mund.
    Stefan fragt sich, fragt mehr sich als in die Runde, wie die Sache wohl ausgegangen wäre, wenn er nicht zu Hause gewesen wäre. Ob ich dann seine Familie erschossen hätte. Wenn er alleine zu Hause gewesen wäre, ob ich nur ihn erschossen hätte. Ob er dann überhaupt eine Chance gehabt hätte und ob die anderen, er meint, dass die anderen dann mit Sicherheit heute hier sitzen würden und nicht er. Dass sie über ihn sprechen würden und nicht er über sie.
    Dann ist es still. Man hört keinen Laut im Publikum und auch die anderen Diskussionsteilnehmer, die anderen Gäste in Stefans Show, sagen kein Wort mehr. Keiner von ihnen wagt es, sich in den Vordergrund zu stellen. Niemand unterbricht diese beinahe heilige Stille.
    Einer wagt es dann doch. Während alle dasitzen und darauf warten, dass etwas passiert, dass Stefan weiterspricht oder dass ein Rückblick auf das Leben der drei Opfer, eine Zusammenfassung der

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