Shoppen und fischen
unglaublich weit auseinander liegende Augen, einen braunen Bubikopf und porzellanweiße Haut, und sie trug einen breitkrempigen kanariengelben Hut. Sie erinnerte mich an Madeline, eine Figur aus den Kinderbüchern, die ich vor fünfundzwanzig Jahren mit Rachel zusammen gelesen hatte. Ihr Handy klingelte, und sie meldete sich mit rauchiger Stimme und einem französischen Akzent. Das Französische passte zu Madeline, das Rauchige nicht, denn sie wirkte zu winzig für eine so dunkle Stimme. Ich spitzte die Ohren, um zu hören, was sie sagte – sie dürfe sich über das Londoner Wetter nicht beklagen, denn in Paris sei es noch kälter und regnerischer. Nachdem sie noch ein Weilchen über Paris geplaudert hatte, sagte sie: «Bis gleich,
mon petit chou
.» Dann lachte sie zärtlich, klappte das Telefon zu und schaute verträumt aus dem Fenster; es sah aus, als habe sie soeben mit ihrem neuen Geliebten telefoniert. Ich versuchte mich zu erinnern, was
chou
bedeutete. War es ein Hündchen? Nein, ich war ziemlich sicher, dass
chien
das Wort für Hund war.
Ich sah mich weiter im Muffin Man um und hoffte, endlich Alistair zu entdecken, meinen
chou
. Aber es waren keine einzelnen Männer da, weder gut aussehende noch andere. Nur Madeline und ein amerikanisches Ehepaar, das einen Restaurantführer studierte. Die beiden trugen identische, dicke violette Gürteltaschen und strahlend weiße Reeboks. Unwillkürlich fragte ich mich, warum so viele Amerikaner (mit Ausnahme der New Yorker) derart wenig Sinn für Mode hatten, aber die neue Darcy nahm es ihnen nicht übel.
Die Kellnerin brachte mein Frühstück. Ich betrachtete das Teesieb und die schwimmenden Teeblätter in der Silberkanne und versuchte mich zu erinnern, wie Ethan uns den Tee eingegossen hatte. Für eine Kaffeetrinkerin war das alles ziemlich kompliziert. Als ich mir gerade wünschte, er wäre hier und könnte mir einschenken und sich die Geschichte von Mr. Dobbs anhören, kam er hereinspaziert. Mit seiner roten Mütze und einem bunt gestreiften Pullover sah er anbetungswürdig aus. Seine Wangen waren rosig wie immer, wenn es kalt war, und das ließ seine Augen noch blauer erscheinen.
«Ethan!» Ich sprach mit normaler Lautstärke, aber meine Stimme hallte durch den kleinen, stillen Raum. «Hey!»
Ich sah, dass Madeline mir einen Blick zuwarf: Anscheinend gefiel ihr mein Ausbruch nicht. Einen Moment lang genierte ich mich dafür, die laute Amerikanerin im Lokal zu sein.
«Hey, Darce.» Ethan kam zu mir an den Tisch. «Wie ist es im Seniorenheim gelaufen?» Offenbar war er zu Hause gewesen, denn ich hatte ihm einen Zettel hinterlassen, auf dem ich ihm von meiner Jobsuche berichtete.
«Nicht so gut. Aber ich hab eine Zeitung gekauft undwill die Anzeigen durchgehen.» Ich nahm Handtasche und Mappe von dem anderen Stuhl herunter. «Ich bin so froh, dass du hier bist. Ich hab gerade an dich gedacht. Wie funktioniert diese seltsame Erfindung noch mal?» Ich deutete auf das Teesieb. Ohne sich zu setzen, beugte er sich über den Tisch, legte das Teesieb auf meine Tasse und goss den Tee aus der Silberkanne darüber.
«Setz dich doch», sagte ich.
Er räusperte sich unbehaglich. «Äh … eigentlich bin ich hier mit einer Freundin verabredet.»
«Oh … mit wem denn?» Ich befürchtete schon, dass Phoebe unterwegs war.
«Sie sitzt da drüben.» Er deutete zu Madeline hinüber, und als sie aufblickte, zwinkerte er ihr zu – nicht auf die glatte, leicht schmierige Art mancher Männer, sondern lieb und freundlich. Wie ein junger, schlanker Santa Claus.
Madeline winkte Ethan mit dem kleinen Finger zu, während sie ihren Cappuccino aus einem Glasbecher trank. Dann schenkte sie ihm ein kleines, vertrautes Lächeln. Ich kombinierte dieses Lächeln mit
mon petit chou
und brauchte einen Moment, um die Schlussfolgerung zu verdauen …
Ethan hat eine Freundin. Und sie ist nicht nur attraktiv, sondern zu allem Überfluss auch noch Französin!
Ethan lächelte zurück und wandte sich dann wieder mir zu. «Du kannst dich gern zu uns setzen, Darce.»
Aber ich sah ihm an, dass er es nicht aufrichtig meinte. «Schon gut», sagte ich rasch. «Geh nur.» Es war mir peinlich, dass ich angenommen hatte, er stehe jederzeit zu meiner Verfügung.
«Sicher?» Er warf mir einen verstohlenen, fast mitleidigen Blick zu.
«Ja, ja. Ich muss sowieso gleich los. Mal sehen, was die Anzeigen zu bieten haben. Geh nur … wirklich», sagte ich.
«Okay. Dann sehen wir uns später,
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