Shopping and the City
»Kannst du dir das vorstellen. Paris – der Mittelpunkt des Universums«, schluchzte sie. »Der Geburtsort der Haute Couture, das Land von Lagerfeld, die letzte Bastion der Zivilisation auf dem Planeten – und ich fahre nicht hin!«
Sie war untröstlich, und mir war auch gleich wieder ganz lausig zumute. »Ich meine, kein Besuch bei deiner Tante Tamara, kein Lacroix, kein Louvre, kein Ladurée! Kein Ritz, kein Eiffelturm, keine Rive Gauche, keine Himbeertörtchen von Lenôtre! Und keinen stinkenden Käse! Paris – der einzige und letzte Ort der Welt, wo die Leute Käse lieben und Fitnessstudios verabscheuen!«
»Es ist alles so entsetzlich tragique !«, jammerte sie mit bebender Stimme. »Meinem Dad ist der Kragen geplatzt.« Ich konnte förmlich die Tränen sehen, die über ihr sommersprossiges Gesicht strömten. »Er zwingt mich, bei ihm in seinem Restaurant in New York zu arbeiten – DEN GANZEN SOMMER ÜBER! Mein größter Lebenswunsch ist schon seit eh und je, Modeschöpferin zu werden. Aber er leidet an der typischen Sturheit aller japanischen Väter, und ich kann nichts dagegen machen. Ich glaube, er hat es immer bereut, dass er keinen Sohn hat, der das Familienunternehmen fortführt. Aber jetzt, na ja – er ist total ausgerastet, und meine Chancen, auf die Design-Fachhochschule zu gehen, sind gleich null. Mein Leben ist vorbei. Aus und vorbei!«
»Nun, da sind wir schon zwei, denn ich fahre ebenfalls nicht nach Paris. Nicht nur wegen heute. Wie sich herausgestellt hat, hatten Miss Stevens und meine Mom eine lange, eingehende Unterhaltung. Sie hat ihr sogar den Kontoauszug für meine Kreditkarte gefaxt!«
»Oh nein, was hat deine Mom gesagt?«, fragte Evie noch immer schniefend.
»Zwei Worte«, antwortete ich. »Nini Langhorne.«
»Nini Langhorne? Was ist mit Nini Langhorne?«
»Sie ist meine neue Tutorin.«
»Was?«, entfuhr es ihr mit betont zischendem s .
»Für die Dauer meines Praktikums.«
»Welches Praktikum?«
»Das Praktikum, zu dem Nini mir verhelfen wird. Von heute an bin ich offiziell in das GCA-Praktikumsprogramm eingeschrieben.«
»Imogene, die einzigen GCA-Praktika sind Jobs in der Bücherei, wo man Bücher ausstempelt und Kaugummis unter den Lesepulten abpulen muss und all so was. Wenn du mir nicht glaubst, schau dir nur an, was Sima Smithers passiert ist.«
Obgleich er noch nicht einmal begonnen hatte, konnte ich das Ende des Sommers gar nicht abwarten.
Kapitel 3
Leben v. H.
Datum: 11. Juni
Stimmung: Carpe Diem -
was, für den Fall, dass ihr es nicht wisst, das lateinische Diktum
für »Nutze jede Chance, die das Schicksal dir bietet, denn du
weißt nie, wann die nächste Gelegenheit vorbeikommt« ist.
S o wie ich es sehe, teilt sich mein Leben in zwei Ab-schnitte: Leben v. H. (vor Hautelaw) und Leben n. H. (nach Hautelaw). Jedenfalls, ich schätze, dass das ganze Einkaufen in Charity-Shops mir ein paar zusätzliche Karma-Punkte eingebracht haben muss, denn ichstand kurz davor, das große Los zu ziehen.
Es war 10 Uhr 45 am Samstagvormittag, und ganz unter uns, ich fing allmählich an, mich zu fragen, ob ich wie Sima Smithers enden würde, als Praktikantin beim Gesundheitsamt von Greenwich. Sima macht den ganzen Tag nichts anderes, als Zecken anzuschauen. Zecken an Hunden, Zecken an Katzen, Zecken an Vögeln, Zecken an Kindern, Zecken an Zecken. Ich meine, den ganzen Tag über Zecken anzuschauen, würde ein
Mädchen wie mich in den Wahnsinn treiben, und ich würde wahrscheinlich selbst Zecken bekommen.
Oder vielleicht würde ich auch wie Michelle Sutz enden, die ihr Praktikum im Greenwicher Rathaus ableistete und die herausfordernde Aufgabe übernommen hatte, 175 000 Postkarten zu verschicken, auf denen wichtige Informationen standen, wie zum Beispiel, wo man den Parkschein an seinem Auto anbringen soll. Aber ihr Boss wollte nicht, dass sie ihr ganzes Praktikum damit zubrachte, Umschläge zu füllen, denn Dienstag war Ablagetag, und da durfte Michelle die Ummeldeformulare alphabetisch sortieren. Da war der Nervenzusammenbruch praktisch garantiert. Ganz ehrlich, der Stress würde mich geradewegs in die Zwangsjacke treiben. (Ohne Designer-Label. Könnt ihr euch das vorstellen?)
Nun, wie es schien, hatte jeder im GCA-Praktikumsprogramm eine Stelle gefunden. Ich hingegen nicht. Es versteht sich von selbst, dass Schickeria-Prinzesschen sich nicht um solche Dinge scheren. Als die Töchter von entthronten Blaublütlern, Reedereikönigen und Wall-Street-Magnaten hatten
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