Shotgun Lovesongs
einzuschlafen. In seiner Kehle und Nase gurgelten bereits kleine Schnarcher. Ich trank meine Tasse aus.
»Wirst du denn für immer in Little Wing bleiben?«, fragte er schläfrig.
»Wahrscheinlich.«
»Es gibt Schlimmeres, so viel steht schon mal fest.«
»Ronny?«
»Hmm?«
»Schlaf nicht ein.«
Er schob sich den Hut wieder hoch auf die Stirn und schaute zu mir rüber. »Und ich dachte, du wolltest keine Nummer schieben.« Er blinzelte mich träge an.
»Will ich auch nicht. Vielleicht können wir ja einfach nur ein bisschen zusammen fernsehen. Hier«, sagte ich und hielt meine Tasse hoch, »gieß mir noch mal nach.«
»Na also. Das ist doch mal ein Wort. Glaubst du, die haben hier vielleicht ’nen Pornokanal?«
Eine Woche nachdem ich Ronny getroffen hatte, rief ich Henry an. Ein Jahr später waren wir verheiratet. Vier Jahre später kam unser erstes Kind, Eleanore. Es gibt in deinem Leben manchmal Menschen, die sind so eine Art Schutzengel. Menschen, die zur rechten Zeit den Hörer aufnehmen und dich anrufen, weil sie sich Sorgen um dich machen oder weil sie deine Stimme hören wollen. Menschen, die dir sagen, dass es absolut okay ist zu weinen oder dass es jetzt an der Zeit ist, mit dem Weinen aufzuhören, sich zusammenzureißen und weiterzumachen. Menschen, die dir sagen, dass du schön bist, dass du gut genug bist, dasssie dich lieben. Das mag vielleicht seltsam klingen, aber wenn die Leute mich nach Ronny Taylor fragen, dann sage ich ihnen: Er ist ein Engel.
...
Draußen vor dem Fenster unseres Wohnzimmers fiel immer noch der Schnee, und ich konnte schon nicht mehr die Reifenspuren erkennen, dort, wo Henry vor gar nicht so langer Zeit die Auffahrt hinuntergefahren war.
In dem Traum bin ich ein Golden Retriever und die Sonne scheint und es herrscht dieses seltsame weiße Licht, mit diesen überbelichteten Farben, die man sonst nur von Fotos und Filmen aus den Siebzigern kennt. Ich laufe durch das hohe Gras auf meinen Feldern und jemand wirft mir einen alten Baseball zu. Ich kann ihn zwischen meinen Zähnen spüren. Ich weiß nicht, wer der Jemand ist, aber ich nehme an, es ist mein Herrchen. Wir gehen spazieren. Ich bin unendlich glücklich. Ich bin begeistert, dass ich so viele Haare habe, so dickes, wunderschönes Fell. Meine Zunge fühlt sich wie ein heißes, halbgegartes Stück Schinken an. Wir laufen meine Auffahrt hinunter und der Kies ist ganz kühl unter meinen Pfoten. Ich lecke das Wasser aus den Pfützen, scheuche einen Fasan aus seinem Versteck auf. Mein Herrchen bleibt am Briefkasten stehen, aber der ist leer. Nur eine Zeitung ist drin, die er wie ein Spielzeug die Auffahrt hinaufwirft. Ich jage hinterher. Mir wird plötzlich bewusst, dass ich träume, dass ich kein Hund bin, dass sich meine Beine bewegen und dass es in meinem Schlafzimmer irgendein Geräusch gibt. Dass ich in Wahrheit ein Mensch bin, ein Mann namens Leland Sutton.
Das Telefon neben meinem Bett klingelte. Der Radiowecker, der danebenstand, zeigte 3 : 01. Chloe will, dass wir es noch mal mit uns versuchen , dachte ich einen Moment lang. Dasmuss Chloe sein . Aber sie war es nicht. Es war Lucy und ich merkte sofort, dass etwas nicht stimmte.
»Es geht um Ronny. Ich rufe andauernd bei ihm an, aber er geht nicht ans Telefon. Ich habe es bestimmt hundert Mal versucht, aber es läutet einfach nur weiter. Ich hab Eddy angerufen und er ist zu Ronnys Wohnung gegangen und hat an die Tür gehämmert und Ronny hat nicht aufgemacht, und da hat Eddy die Tür eingeschlagen und er war nicht da. Er war gar nicht da! Was ist los, Lee? Wo ist Ronny?«
»Ruf die Polizei«, sagte ich so ruhig ich konnte. »Und auch die Highwaypolizei. Ruf jeden an, den du kennst. Sag ihnen, sie sollen zur Mühle kommen. Ich fahre sofort hin.«
Der Schnee reichte fast bis zu den Trittbrettern meines Pick-up-Trucks, aber ich schaltete den Vierradantrieb ein und blieb immer auf der Mitte der Straße. Ich hatte einen ziemlich großen Stapel Holz auf der Ladefläche meines Trucks, um den Rädern Halt zu geben, und das half, auch wenn ich mindestens ein Dutzend Mal ins Schleudern geriet. Endlich sah ich das schwache Leuchten anderer Scheinwerfer und dann die hochaufragenden Türme von Kips Mühle. Auf dem Parkplatz waren schon ungefähr zehn andere Autos und Trucks versammelt und gerade kamen auch noch ein paar Schneemobile dazu.
Kip war schon da und nahm die Sache in die Hand, teilte die Leute in Paare auf und gab ihnen neue Seile, neue Taschenlampen, in denen
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