Shotgun Lovesongs
Eleanores Mandeloperation bezahlen müssen. Wir hatten mit unserer Milchviehhaltung einen Punkt erreicht, an dem es allgemein hieß: Wachse oder stirb . Entweder investierten wir mehr Geld in die Farm und schafften uns mehr Kühe an, oder es war Zeit, darüber nachzudenken, aus der Sache auszusteigen. Beth und ich hatten unsere Hypothek bis zum Äußersten ausgereizt und es blieb nichts, was man für die Ausbildung der Kinder hätte sparen können; und genau wie bei allen anderen Leuten waren auch unsere Geldanlagen vollkommen baden gegangen. Beth hatte vor kurzem sogar Infoblätter zu Lebensmittelmarken und staatlicher Gesundheitsfürsorge mit nach Hause gebracht. Ich hatte in letzter Zeit nachts nicht besonders gut geschlafen und ich wusste nicht, was ich tun sollte, falls wir mit der Farm pleitegingen. Bis zu diesem Moment hatte ich keinerlei Ahnung gehabt, was Lee wohl so verdiente, auch wenn wir uns das natürlich alle hin und wieder gefragt hatten. Aber ich begriff, dass es sich mit seinem Einkommen genauso verhielt wie mit seinen Reisen – das alles war für mich unvorstellbar. Und jetzt machte mich dieser krasse Gegensatz, diese nicht mehr wegzuleugnende Realität sehr traurig.
Ich hatte früher einmal darüber nachgedacht, Lee um einenKredit zu bitten, als die Lage besonders ernst war. Beth hatte mich sogar dazu ermutigt. Aber ich hatte es nie getan.
»Hör mal, Lee«, fing ich an, und er schaute zu mir herüber, seine Pupillen vor Wut immer noch ganz klein. Aber ich konnte nicht weiterreden.
»Komm«, sagte er, »schnappen wir uns Ronny und dann verschwinden wir von hier. Ich muss Chloe morgen ganz früh am Flughafen abholen. Wir sollten hier abhauen, bevor noch irgendwas passiert.«
Aber genau in diesem Augenblick bemerkten wir Kip, der zu uns herübergekommen war und nun direkt über uns lauerte, während die Fotografin im Halbdunkel des Clubhauses auf Zehenspitzen über seine Schulter hinweg ihre Bilder schoss. Kip hatte eine Flasche Johnny Walker Blue in der Hand und seine Lippen glänzten vom Alkohol.
»Und wo ist denn überhaupt deine Uniform?«, bellte er zu Lee hinunter, während sich auf seinem Gesicht ein Lächeln ausbreitete, das zur Hälfte ein höhnisches Grinsen war. Er stupste Lee leicht an den Arm. »Na?«
Lee schüttelte den Kopf. »Du hast meine vergessen, weißt du noch?«
»Nee, hab ich nicht«, sagte Kip. »Du hast sie verschenkt, das ist nämlich passiert.«
Lee zuckte mit den Schultern und schaute Kip an, und da sah ich, dass sich die Dinge irgendwie verschoben hatten – sie waren keine Freunde mehr, nicht einmal mehr freundlich zueinander, nur noch zwei Männer, die sich nicht mochten, zwei Männer, die nichts mehr gemeinsam hatten, von der geographischen Herkunft einmal abgesehen. Von jetzt an und für alle Zukunft würde jede Gelegenheit, bei der sich ihre Wege kreuzten, nur noch reiner Zufall sein.
»Und, wann lerne ich sie nun endlich kennen?«, brüllteKip, um die ohrenbetäubende Musik zu übertönen. Hinter ihm waren die Tänzerinnen von der Bar heruntergeklettert und rieben ihre goldbraunen Hüften an Ronny.
Lee starrte Kip an. » Endlich kennenlernen ? Was soll denn der Scheiß, Kip? Willst du ihr verficktes Autogramm ?«
Kip nahm Lees Worte einen Moment in sich auf, lächelte dann und drehte sich zur Bar, um den Tänzerinnen anzügliche Blicke zuzuwerfen. »Wenn ihr wollt, bringt euch der Fahrer nach Hause, Jungs. Ich möchte auf keinen Fall, dass du dir beim Brüllen die Stimme ruinierst, Lee.« Er nahm einen Schluck aus der Flasche und ging zum Rest der Gruppe. Mittlerweile kannte ich nur noch wenige. Die Girouxs waren schon gegangen. Und Eddy ebenfalls.
Wir standen auf, sammelten den etwas widerstrebenden Ronny ein und verließen das Clubhaus, mit pochendem Trommelfell, dem Geruch von fremdem Parfüm in den Haaren und schmerzenden sonnenverbrannten Nasen. Ronny ließ sich in das weiche Leder der Autositze fallen und schaute durch das offene Schiebedach in den Nachthimmel hinauf. Er hatte ein Lächeln auf dem Gesicht und in der Tasche seiner Jeans steckten zwei Papierfetzen: Beide Tänzerinnen hatten ihm ihre Nummern gegeben und die Zettel mit großen roten Lippenstift-Os verziert, als sie einen Gutenachtkuss aufs Papier gedrückt hatten.
»Ich bin nicht zum ersten Mal beim Rodeo, Jungs«, sagte er immer wieder. »Nee, nee. Nicht zum ersten Mal.«
Lee legte seinen Arm um Ronnys Schulter und sie schauten zusammen zu den Sternen hoch. Ich lächelte die
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