Shotgun Lovesongs
dachte ich immer nur daran, mich festzuklammern. An nichts sonst. Mein Leben bestand aus lauter Bruchstücken von acht Sekunden, eher sogar weniger. Mir fehlt das alles. Heutzutage weiß ich nicht mehr, was ich tun soll, und manchmal fühlt es sich so an, als würde mich niemand überhaupt noch etwas tun lassen. Um ehrlich zu sein, ich will gar nicht trinken, um betrunken zu werden, aber vielleicht könnte ich ja, wenn ich mir mal etwas gönnen würde, die Dinge verbiegen , verstehen Sie? Das Bild zum Beispiel, das man von der Welt hat. Vielleicht sogar die Zeit? Jetzt, im Moment, dehnt sich mein Leben vor mir aus wie eine Straße, die nirgendwo hinführt. Eine dieser Straßen mitten durch die Prärie, wo man achtzig, neunzig oder hundert Meilen in der Stunde fahren kann und das Einzige, woran man merkt, dass man sich bewegt, das Geräusch des Motors ist. Und die Tankanzeige, die immer schneller und schneller dem roten Bereich entgegenrückt. Aber da ist nichts, woran man sich selbst oder seine Geschwindigkeit messen könnte. Keine Bäume, keine Häuser – wenn man Glück hat, noch ein paar Telefondrähte, aber meistens ist da absolut gar nichts.
Wenn ich morgens aufwache, mache ich meist hundert Liegestützen, einfach nur so . Weil, ach, scheiß drauf . Weil imFernsehen immer nur derselbe Mist läuft. Alte Nachrichten, die man als neue Nachrichten verkauft. Und immer und immer wieder dieselben Probleme, und ich soll mich dann dafür interessieren oder mich am Ende sogar noch darüber aufregen. Folgendes habe ich gelernt : Es gibt immer mehr Menschen und immer weniger vom Planeten und alles wird immer heißer und heißer. Das fasst es so ungefähr zusammen, wenn man mich fragt.
Die Leute stellen den Fernseher gern auf einen Kanal ein, von dem sie glauben, ich würde ihn gut finden. Meistens auf einen Naturfilm. Oder irgendwas über den Westen. Oder über Pferde. Das gibt mir immer das Gefühl, als wäre ich in einem Pflegeheim oder so, wo sich irgendeine übertrieben freundliche Krankenschwester in meinen Kram einmischt und mir sagt, was ich im Fernsehen gucken soll, als würde ich nicht mit einer Fernbedienung umgehen können. Ich glaube, sie machen das, weil sie nicht mehr wissen, was sie zu mir sagen sollen, weil sie meinetwegen traurig sind oder weil sie denken, dass ich traurig bin. Und ob Sie’s glauben oder nicht, meistens bin ich das gar nicht. Ich bin nicht traurig. Ich langweile mich nur zu Tode. Ich langweile mich so wahnsinnig, dass ich, wenn ich einen Film über Die Wildpferde von Colorado sehe, nur an eines denken kann: Wenn ich ein Wildpferd wäre, dann würde ich einfach wie der Blitz davonpreschen und bis in alle Ewigkeit weiterrennen.
Ich würde so unendlich gerne von hier abhauen, bloß raus hier, und dabei weiß ich nicht mal, wo genau ich hingehen würde. Ganz egal wohin, schätze ich. Ich weiß, sie glauben, ich könne nicht allein auf mich aufpassen, aber das kann ich verdammt noch mal sehr wohl. Ich bin nicht gerade klug – das weiß ich –, aber ich bin auch nicht bescheuert.Und wie die Dinge jetzt sind, könnte ich genauso gut in einem Käfig leben. Ich glaube, die Leute vergessen, dass ich auf mehr Stieren und Pferden geritten bin, als ich zählen kann, dass ich mich von hier bis Boise und bis runter nach Baton Rouge in unzähligen Kneipen geprügelt habe, dass ich vor meinem Unfall einfach in eine Bar gehen konnte, jede Bar, egal welche , und ein Mädchen ansprechen konnte und verdammt noch mal sicher sein konnte, dass sie in der nächsten Nacht sehr nett zu mir sein würde. Nichts leichter als das.
Ich bin ein Mann . Ich bin ein Mensch , Scheiße nochmal. Und ich bin so ruhelos, dass es mich fast wahnsinnig macht.
Ich habe versucht wegzulaufen. Das versuche ich ungefähr drei Mal im Jahr. Meistens im Sommer. Ich stehe dann so früh wie möglich auf, packe eine Tasche, kaufe an der Tankstelle was zu essen und laufe einfach los Richtung Westen. Eigentlich könnte ich ja auch ein Auto klauen, aber so was will ich nicht. Ich bin kein Verbrecher. Ich möchte einfach nur verschwinden. Jedenfalls wollte ich das, bevor ich Lucy kennenlernte.
Dieser Ort hier hat irgendeine komische Schwerkraft. Ich weiß, das ist ein seltsames Wort, ein wichtig klingendes Wort, aber ich habe darüber nachgedacht. Der Ort muss irgendeine Macht haben, sonst wäre Lee nie hierher zurückgekehrt – aber das ist er. Und Kip und Felicia sind es auch. Ganz zu schweigen von all den Leuten, die gar nicht erst
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